Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
mich vor den Obersten der Kirche zu rechtfertigen, meine wahre Lehre zu verteidigen, hatte er seinen Freunden entgegnet. Das ist meine von Gott auferlegte Pflicht und mein Wunsch. Und ich bin sicher. Nun, wie sicher er war, das sah er ja jetzt! Gutgläubig und dumm war er gewesen, dumm wie eine Gans eben …
Es knirschte, ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Hus setzte sich auf. Ein Wachmann trat ein, stellte einen Napf Suppe und weißes Brot auf das Tischchen unter dem Fenster, und verschwand wortlos wieder. Hus schlurfte zum Tisch und setzte sich auf den Schemel, der davorstand. Er musste essen, ganz egal ob er Schmerzen litt oder ob die Übelkeit wieder kam. O nein, er hatte ganz bestimmt nicht vor, in diesem Verlies zu krepieren! Nicht bevor er sich in aller Öffentlichkeit von den Vorwürfen der Ketzerei befreit hatte! Er griff nach dem Holzlöffel, tunkte ihn in die Brühe und schlürfte vorsichtig das heiße Zeug. Wenn er sich Zeit ließ, ging es besser, dann behielt er das meiste bei sich. Das Brot war schwieriger, er konnte kaum kauen, weil seine Zahnschmerzen dann unerträglich wurden. Dennoch zwang er sich, den Kanten aufzuessen. Warum dauerte es nur so lange, bis seine Anhänger aus dem böhmischen Adel ihn hier herausbringen konnten? Er hatte ihnen geschrieben: »Wenn ihr das arme Gänschen lieb habt, dann sorget dafür, dass es bald aus der Haft kommt und nicht gebraten wird!« Noch hatte er seinen Humor nicht verloren.
Inzwischen war seine Zuversicht nicht mehr so groß. Die Gefangenschaft hatte ihm schwer zugesetzt. Anfangs hatte man ihn nur in der Wohnung eines Domherrn unter Arrest gestellt, doch dann war er in den Kerker des Dominikanerklosters gebracht worden. Seitdem durchlebte er qualvolle Wochen. Bei Tage lag er in Fesseln, und nachts sperrte man ihn in einen Verschlag. Das Verlies lag unmittelbar neben der Kloake des Klosters, der Gestank war unerträglich und machte ihn krank. Wenigstens hatte man angesichts seines Zustands inzwischen davon abgesehen, ihn anzuketten, und man hatte ihm sogar eine Bibel und Schreibzeug gebracht, aber sein Gesundheitszustand hatte sich nicht gebessert, ein Fieber war dazugekommen. Jan Hus verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. Man stelle sich vor, der Papst höchstselbst, dieser Pirat, Mörder und Frauenschänder, hatte ihm seinen Leibarzt geschickt! Welch ungeheure Heuchelei! Sein erster Impuls war gewesen, den Mann hinauszuwerfen, aber dann hatte das arme Gänschen nicht einmal die Kraft gehabt, sich auf seiner Pritsche aufzusetzen. Der Italiener hatte ihm freundlich auf Lateinisch gesagt, er solle doch vernünftig sein, niemandem sei gedient, wenn er jetzt stürbe. Schließlich müsse er sich ja noch vor dem Konzil verteidigen. Da hatte er nachgegeben, hatte folgsam das bittere Zeug hinuntergewürgt, das ihm der Magister dagelassen hatte. Zumindest das Fieber war wieder abgeklungen, nicht aber die Schmerzen und die Übelkeit, und der Zahn plagte ihn schlimmer als vorher. Aber jetzt wusste er wenigstens, dass seine Feinde nicht vorhatten, ihn einfach so im Kerker zu lassen. Sie wollten einen Prozess, wollten die Öffentlichkeit, wollten ihn zum Ketzer erklären.
Damit war Hus’ Kampfgeist wieder erwacht. Oh, er würde kein leichtes Opfer werden. Er wollte sich wehren, den Bischöfen und Kardinälen, dem König und dem Papst vor Augen führen, welch falschen Weg sie eingeschlagen hatten. Gott stand ihm sicher zur Seite und ließ nicht zu, dass die gute Sache zugrunde gerichtet wurde.
Hus stellte den Suppennapf auf den Steinboden und zog Pergament, Feder und Tintenhorn zu sich heran. Fieberhaft begann er, im Halbdunkel seiner Gefängniskammer zu schreiben, seine Verteidigungsrede zu konzipieren. Er fühlte, wie das alte Feuer zurückkehrte, diese glühende Besessenheit, die ihn immer angetrieben hatte. Die wahre Lehre könnt ihr nicht verbrennen, dachte er, und seine Augen funkelten. Noch ist die Gans nicht gebraten!
Konstanz, zur selben Zeit
Ezzo betrat den unteren Eingangssaal des Lanzenhofs und warf einem Lakaien seinen Umhang zu. Inzwischen wurde er von der Wache ohne Fragen eingelassen, man kannte ihn. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stieg er die Treppen nach oben in das zweite Stockwerk, wo Barbaras Räume lagen. Der Türsteher öffnete ihm mit einer Verbeugung.
»Oh, komme ich ungelegen?« Die Königin hatte Besuch, einen jungen, schwarzhaarigen Mann in welscher Tracht, klein und schlank, mit auffälliger Hakennase.
»Messer
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