Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
glücklich über die neuen Gäste. Spielleute! Die stahlen wie die Raben, so sagte man, und führten sich nicht auf wie anständige Gastschaft. Dreckig waren sie meist auch! Und eigentlich sollte man ja überhaupt keine vom unehrlichen Gewerbe beherbergen! Aber der halbe Gulden, den Janka dem Wirt in die Hand drückte, vertrieb seine Bedenken schnell. Gott sei Dank hatten sie in Konstanz so gut verdient, dass das Geld leicht den ganzen Winter über reichen würde!
»Aber Essen gibt’s nicht, und das Zimmer fegen müsst ihr auch selber«, hatte der Wirt geknurrt, und den Grund hatte Sara auch gleich von dem halbwüchsigen Schankjungen erfahren. »Dem Alten ist die Frau durchgegangen, vor zwei Wochen«, hatte der Bursche ihr ein bisschen schadenfroh verraten. »Jetzt muss er alles alleine machen, und das schmeckt ihm gar nicht!«
Sara war jedenfalls erleichtert, dass sie so schnell eine Unterkunft gefunden hatten. Pirlos Zustand, das konnte ein Blinder sehen, war kritisch. Normalerweise kündigte sich der Lungenfluss mit Husten und Fieber an, war oft die Folge einer verschleppten Erkältung. Dieser hier jedoch schien von der heimtückischen trockenen Sorte zu sein, die ganz plötzlich ausbrach und mit starken Schmerzen in Brust und Rücken einherging. Eine Behandlung schlug hier oft nicht an.
Sie brachten Pirlo ins Bett, stopften warme Decken um seinen Körper und lagerten ihn so hoch, dass er noch einigermaßen Luft bekam.
»Was können wir tun?«, fragte Ciaran leise.
Sara schickte ihn nach Feuerholz, um den Kamin schüren zu können. Wärme war unabdinglich. Janka war derweil in die Küche verschwunden, um Wein heiß zu machen. Sara selber holte Arzneien aus ihrem Wagen, die sie nun kräftig zermörserte. Lungenkraut natürlich, dazu Engelwurz und Thymian, Veilchen und Gundelreb, und Mauerpfeffer zur Fiebersenkung. Gegen die Schmerzen wagte sie nichts zu geben – wenn Pirlo durch Mohnsaft in einen Dämmerzustand geriet, würde er vielleicht nicht mehr aus eigener Kraft atmen können. Nachdenklich sah sie Pirlo an, der mit schmerzverzerrtem Gesicht erschöpft im Bett saß, halb aufrecht, mit einem dicken, strohgefüllten Pfulm im Rücken. »Medicin hilfet, wann Gott es will, wann da nicht ist des Todes viel!«, dachte sie voll Sorge. Diesen Spruch hatte Onkel Jehuda immer zitiert, wenn er daran zweifelte, dass er noch etwas tun konnte. Sie schüttelte ihre Befürchtungen ab und begann, eine Salbe für Brustwickel anzurühren.
Drei Tage lang kämpften sie um Pirlos Leben. Stunde um Stunde wachten Janka, Ciaran und Sara abwechselnd an seinem Lager, während der Herzog von Schnuff, der die Gefahr spürte, ganz niedergeschlagen vor der Tür Wache hielt und ab und zu leise jaulte. Sara machte unaufhörlich Wickel, flößte Pirlo Kräuterwein und Tinkturen ein und ließ ihn heiße Aufgüsse trinken. Obwohl sie wenig von Aderlässen hielt, tat sie Janka den Gefallen und holte den Schnäpper und ihre Zeichnung vom Lassmännlein hervor. An der Menschenfigur schaute sie nach, welche Stelle für Lungenkrankheiten besonders gut sei – das war auch abhängig vom Sternzeichen des Kranken; soweit sie wusste, war Pirlo ein Wassermann –, und schlug schließlich am Fuß in die Ader. Bei einem gesunden Menschen ließ man gewöhnlich so viel Blut ab, wie der Mensch auf einmal trinken konnte. Bei einem schwachen, todkranken Patienten wie Pirlo, so wusste Sara aus guter Erfahrung, konnte dies den Zustand nur verschlimmern. So nahm sie nur so viel von dem dunklen, tiefroten Saft, wie in ein Ei ging. Alle Stunden, wenn vom nahen Dom die große Glocke schlug, legte sie Fenchel und Dillsamen auf einen Dachziegel, hielt die Kräuter übers Feuer und ließ den Kranken die Dämpfe einatmen. Jeden Abend holte Ciaran eiskaltes Mainwasser, mit dem sie Arm- und Beinwickel machten, um das Fieber zu bekämpfen.
Irgendwann setzten sich alle drei stumm und erschöpft an Pirlos Bett. Der Kranke lag sterbensgrau in den Kissen, sein Atem ging rasselnd. Es gab nichts weiter, was Sara hätte tun können. Nun half nur noch Beten.
Und am Morgen, als das erste graue Licht des Tages sich durchs Fenster stahl, schlug Pirlo die Augen auf. Er schaute eine ganze lange Zeit auf die drei Gestalten, die in ihren Stühlen vor seinem Bett eingeschlafen waren. Dann sagte er leise, aber deutlich: »Kinderchen, was ist los? Mir tut gar nichts mehr weh!«
Janka riss es als Erste aus dem Schlaf. Sie strahlte, aber Sara wusste, dass es noch nicht vorüber war.
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