Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
am Ende festbinden. Irgendwann ist sie ruhiger geworden; seit zwei, drei Monaten sitzt sie den lieben langen Tag auf ihrem Schemel und wiegt sich selber wie eine Mutter ihr Kind. Vielleicht wird es jetzt besser mit ihr, mit der Hilfe des Ewigen.«
»Bringt mir einen Zuber mit Wasser«, bat ich.
Und dann wusch ich Jochebed den Schmutz der letzten Monate vom Leib. Sie zitterte wie Espenlaub und brummte die ganze Zeit über, aber sie ließ zu, dass ich sanft mit dem Schwamm über ihre Haut rieb. Sogar ihr Haar durfte ich notdürftig waschen, auch wenn es so verfilzt und voller Nissen war, dass Wasser allein kaum etwas ausrichtete. Aber besser als nichts.
Als wir fertig waren, zog ich ihr ein frisches Hemd an und die dicken, flachen Lederschuhe, die keine Spitze und keinen Absatz hatten, weil sie sonst nicht richtig damit gehen konnte. Dann legte ich ihr den warmen Wollmantel mit dem gelben Judenfleck um, den ich in ihrer Truhe gefunden hatte und warf den weißen Schleier mit den beiden blauen Streifen über ihre noch feuchten Haare. »Komm, Jochi, wir gehen.«
Keinen Augenblick länger wollte ich sie in diesem Haus lassen, in dem sie so verzweifelt gewesen war.
Folgsam lief Jochebed an meiner Hand durch die Gassen. Sie fragte nichts, war einfach nur zufrieden wie ein satter Säugling. Mich hingegen plagte ein schrecklicher Zwiespalt der Gefühle: Die Trauer über den Tod meiner Eltern, das Glück darüber, dass ich Jochi wiedergefunden hatte, die Angst davor, wie Ciaran reagieren würde. Unterwegs zerbrach ich mir verzweifelt den Kopf, was nun werden sollte. Ich hatte jetzt die Verantwortung für einen Menschen, der niemals ein selbständiges Leben würde führen können. Das allein veränderte schon so vieles. Aber was mir am meisten Sorgen machte war das Gespräch, das ich noch heute mit Ciaran führen musste. Himmel, was sollte ich ihm nur sagen? Jetzt ging es nicht mehr nur darum, ihm meine Herkunft und meinen Glauben zu offenbaren, sondern ich musste ihm auch erzählen, dass wir in Zukunft zu dritt sein würden. Denn eines wusste ich so sicher wie sonst nichts auf der Welt: Ich würde Jochi nicht mehr alleine lassen. Sie brauchte mich, sie hatte keinen Menschen außer mir. Mein Mut und meine Hoffnung sanken mit jedem Schritt, der mich dem »Schwarzen Ochsen« näher brachte.
Als wir um die Ecke in den Hof bogen, wo unsere Wagen standen, sah ich Ciaran schon von Weitem an der Viehtränke bei den Pferden stehen. Er ließ den Striegel sinken, mit dem er gerade die Kruppe seines Braunen bearbeitet hatte, und runzelte die Stirn. Mir sank das Herz. Eigentlich hatte ich gehofft, Jochi in meinen Wagen bringen und dann allein mit ihm reden zu können. Aber jetzt war es zu spät. Ich packte Jochis Hand fester, und sie ging folgsam mit mir auf Ciaran zu. Er sah mich fragend an.
»Ciaran«, sagte ich und wunderte mich, dass meine Stimme nicht zitterte. »Das ist Jochebed, meine Schwester.«
Ciarans Blick glitt über den gestreiften Schleier, dann tiefer, bis er an der gelben Judenscheibe hängen blieb. Eine unerträglich lange Zeit sagte er einfach gar nichts, starrte mich und Jochi nur ungläubig an. Dann wandte er sich mit einem Ruck ab und ging in seinen Wagen. Ich hörte, wie er von innen den Riegel vorschob.
Würzburg, am selben Abend
Hier werden wir wohnen.« Sara schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter und schob ihre Schwester in den Doktorswagen. Es war vielleicht besser, Ciaran eine kleine Zeit zum Nachdenken zu lassen und nicht gleich zu ihm zu gehen, dachte sie, während sie Jochi half, den Mantel auszuziehen. »Setz dich schön hin«, sagte sie zu ihr. »Und damit du mir nicht das Ungeziefer hereinbringst, müssen wir zuallererst etwas gegen die Läuse unternehmen!«
Sie nahm das schärfste Operationsmesser aus ihrer Arzttasche und schnitt ihrer Schwester das lange Haar bis auf Fingerlänge ab, auch wenn Jochi dabei ganz jämmerlich zitterte. Beruhigend sprach Sara auf Jochebed ein, während sie die Spanschachtel mit den zerstoßenen Herbstzeitlosensamen herbeiholte, eine Handvoll des Pulvers mit Gerstenkleie und Honig mischte und die giftige Paste auf den strubbeligen Kopf schmierte. Jochi brummte zwar schon wieder angstvoll, aber weil es kein Wasser war, wehrte sie sich nicht. Dann kam ein festes Tuch zum Einpacken, das musste bis zum nächsten Morgen bleiben. »Wirst sehen, es hört bald auf, zu jucken, und dein Haar ist wieder schön!«
Jochi lachte übers ganze Gesicht, und Sara wurde wieder
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