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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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konnte. Er drückte ihr umständlich die vielen Pergamentrollen in die Hand, die er getragen hatte. »Bring das zurück in die Jeschiwa, Zuckerstück«, sagte der Rabbi und tätschelte ihr die Backe. Dann wandte er sich mit ernstem Blick wieder an Sara. »Komm mit, Sara bat Levi. Ich will dir etwas zeigen.«

    Ich folgte Rabbi Süßlein bis zur Stadtmauer und durch das Tor hinaus in die Vorstadt Bleich. Da war eine hohe Mauer mit einem schmiedeeisernen Gitter, in das der Davidstern und der Spruch »Schomér delatót Jisrael« eingearbeitet waren – »Gott, der die Türen Israels bewacht«. Meine Vorahnung wurde zur Gewissheit, der böse Traum in dieser Nacht hatte mich nicht getrogen.
    Und dann stand ich vor dem Grab meiner Mutter. Ein Stein, rotbraun, über und über bedeckt mit hebräischen Schriftzeichen. Ich las: »Am 21. Adar 5174 starb Schönla, Weib des Levi, Krone ihres Gatten, Tochter der guten Jenta. Ihres Mannes Herz durfte sich auf sie verlassen, und an Nahrung mangelte es ihm nicht, und sie kleidete ihn in Ehren, wenn er saß bei den Ältesten, die Thora zu lesen und gute Werke zu tun. Sie war stets bei ihm, fertigte Bücher für ihn mit eigner Hand. Sie suchte weiße Wolle, um Fransen zu spinnen, sie fertigte Garn für Gebetsriemen. Sie war flink wie ein Reh und kochte für die Kinder. Sie schmückte Bräute und führte sie zur Trauung. Sie wusch die Toten und nähte Leichentücher. Mit ihren Händen bestickte sie Kleider und flickte zerrissene Laken. Sie breitete die Arme aus zu den Menschen und ihr Mund sprach keine Lüge. Sie machte Dochte für die Kerzen, sang Psalme und Gebete und sagte die zehn Gebote auf. Sie sang lieblich, kam früh in die Synagoge und blieb bis in die Nacht. Sie tat ihren Mund auf mit Weisheit und wusste, was verboten ist und erlaubt. Am Schabbat pflegte sie Fragen zu stellen und nahm die Worte des Rabbi in sich auf. Sie besuchte die Kranken und drängte ihre Kinder, eifrig zu lernen. Freudig führte sie ihres Mannes Willen aus und tat ihm kein Leides sein Leben lang.«
    Neben dem Stein meiner Mutter stand ein kleinerer, ziemlich neuer Grabstein mit dem Namen meines Vaters darauf. Wer hatte ihm wohl den letzten Dienst erwiesen, ihn gewaschen, eine Ecke seines Gebetsmantels abgeschnitten, um ihn pasul zu machen, ihm das Totenhemd angezogen?
    Der Rabbi konnte mich gerade noch auffangen, als ich ohnmächtig wurde.

    »Eines Tages, es muss im Nisan vor drei Jahren gewesen sein, stand ein Karren vor der Synagoge, vollgeladen mit Hausrat und ein paar Möbeln.« Der Rabbi hielt den Kopf leicht schräg und blickte hinauf zum blauen Himmel, als helfe ihm dies, sich zu erinnern. Er saß neben mir im Gras; seine Hände spielten mit einem Steinchen. »Dein Vater kam in die Jeschiwa und fragte, ob es in der Gemeinde einen Platz für seine Familie gäbe. Nun, du weißt, was uns Juden Gastfreundschaft und Zusammenhalt bedeuten, also nahmen wir ihn und die Seinen gerne auf. Deine Mutter war damals schon krank, sie hätte nicht mehr lange weiterziehen können. Die Wassersucht, wie sich später herausstellte. Sie besaßen nichts, oj, bettelarm waren sie, kaum, dass sie sich das täglich Brot leisten konnten. Also ließen wir sie in einem der Häuser wohnen, die der Gemeinde gehörten. Unten lebten Schüler der Jeschiwa, und oben unterm Dach richteten sie sich ein. Deinen Vater kam es hart an, von den Mitteln der Gemeindekasse zu leben, aber er war nicht mehr jung genug, um sich von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Also übernahm er es, für den Friedhof zu sorgen, alles dort sauber zu halten, das Tahara-Haus zu reinigen, die Leichen zu richten, solche Dinge. Deine Mutter ging ihm zur Hand, solange sie konnte. Und dann war da ja noch deine Schwester, die Aufsicht brauchte.«
    Ich nickte. In meinem Kopf war eine schreckliche Leere. Da hatte ich meine Eltern endlich gefunden, nach so vielen Jahren, und nun lagen sie hier in der kalten Erde, tot. Ich wollte weinen, aber es kamen keine Tränen.
    »Es waren gute Leute, deine Eltern«, fuhr der Rabbi fort und tätschelte mir die Hand. »Fromm, gottesfürchtig und ehrlich. Sie haben mir einmal erzählt, dass da noch eine Tochter war, die sie schmerzlich vermissten. Und dass diese Tochter aus Not die Familie verlassen musste. Mehr wusste ich nicht.«
    »Ich musste vor vielen Jahren aus Köln fliehen, Rabbi. Vergebt mir, wenn ich Euch den Grund nicht nenne, er liegt mir schwer auf der Seele. Danach waren auch meine Eltern gezwungen, fortzugehen. So

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