Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
war. In gespielter Hilflosigkeit hob er die Arme und ließ sie wieder sinken. »Kommt der Wolf ins Alter, reitet ihn die Krähe!«, seufzte er. »Ist das dein letztes Wort, Weib? Ich dachte immer, ich hätte eine Hauserin, dabei hab ich eine sprechende Gesetzestafel auf zwei Beinen!« Dann wandte er sich an Sara. »Also, du hast’s gehört, der Herr im Haus hat entschieden.« Er kratzte sich am Kopf. »Du kannst bleiben – fürs Erste. Morgen früh reden wir weiter.«
Saras Erleichterung war grenzenlos, und noch bevor Jettl mit Kissen und Decken zurückkehrte, war sie schon im Sitzen eingeschlafen.
»Du hast es doch damals auch nicht mehr in deiner Gemeinde ausgehalten. Genau wie ich bist du heimlich weggegangen!«
Das war ein gewichtiges Argument gewesen, und Sara hatte es am nächsten Morgen mit blitzenden Augen vorgebracht. Jehuda gab sich schneller geschlagen als er gedacht hatte. Sie hatte ja recht. Er war wie sie geflüchtet, und sein Grund war damals weiß Gott nicht besser gewesen als ihrer heute. Und sie war ganz allein und ein Mädchen. Außerdem imponierte ihm ihr Mut. Sie schien klug zu sein und willensstark. Dazu kam noch, dass sie ihn sehr an seine kleine Schwester erinnerte, die er vor so vielen Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Jehuda hatte sich also geräuschvoll mit dem Ärmel die Nase geputzt und dann gesagt: »Gut, wenn du nun einmal bleiben willst, dann bleib! Aber nur, solange du mich nicht bei der Arbeit störst! Und nach dem Winter sehen wir dann weiter.«
»Ich werde dich ganz bestimmt nicht stören, Onkel Jehuda«, versprach Sara. »Weißt du, daheim in Köln habe ich im Hekdesch Kranke gepflegt, und ich habe dort viel über die Heilkraft von Kräutern gelernt. Vielleicht kann ich dir ja sogar helfen.«
Das fehlte mir grad noch, dachte Jehuda. Helfen will sie, das dumme Ding, du meine Güte! O Himmel, schick mir eine andere Heimsuchung!
In den nächsten Tagen und Wochen zeigte Jettl Sara die Stadt und machte sie mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde bekannt. München war bei weitem nicht so groß wie Köln und auch nicht so reich, aber es war immerhin Sitz der herzoglichen Familie. Der Fürstenhof brachte viel Glanz in die Stadt an der Isar, es gab wohlhabende Handwerker und gut bestückte Märkte, auf denen kostbare Waren neben einfachen Dingen des Lebens angeboten wurden. Auch die Flößerei brachte beträchtlichen Wohlstand. Natürlich war Köln viel ehrwürdiger und älter; München war ja gerade einmal vor zweieinhalb Jahrhunderten gegründet worden – damals, als der Bayernherzog Heinrich, genannt der Löwe, Befehl gegeben hatte, das bischöflich-freisingische Oberföhring samt seiner Brücke zu zerstören und die dort verlaufende Handelsstraße durch seine Neugründung München zu verlegen.
Die jüdische Gemeinde war klein, sie bestand aus nicht einmal zwanzig Familien, die unter dem Schutz der herzoglichen Familie standen. Fast alle lebten in der Judengasse entlang der ersten Stadtbefestigung, wo auch die Synagoge stand. Die meisten waren reiche »Geldschwämme«, wie die Münchner sagten, und versorgten den Landesfürsten mit immer neuen Darlehen. Alle wussten, dass der Herzog auf seine Juden angewiesen war, und dass er deshalb gerne seine Hand über sie hielt. Wie in Köln gab es einen Hekdesch, ein Bad und einen eigenen Friedhof. Die Gemeinde führte ein ausgeprägtes Eigenleben mit einem Rabbiner und dem mehrköpfigen Rat an der Spitze; der Judenmeister, ein behäbiger, unglaublich dicker Pfandleiher namens Fink, lebte in einem auffälligen weißgetünchten Haus, das die Leute »Schneeberg« nannten. Jettl erzählte, dass seit jeher die Münchner Judenärzte einen hervorragenden Ruf genossen. Da war vor allem Meister Sun, vor fünfzig Jahren Leibarzt Herzog Ludwigs des Vierten, und nach ihm Meister Jakob, der Leibarzt Herzog Stephans des Dritten. Auch Jehuda wurde manchmal in die Residenz gerufen, um vornehme Höflinge oder sogar den Herzog selbst zu behandeln. Sara war beeindruckt, wie geachtet der Arztberuf allüberall war, und damit auch ihr Onkel, dessen Erwähnung bei jedermann stets Hochachtung hervorrief und ihr alle Türen öffnete.
Die Menschen sprachen ganz anders als in Köln, und Sara hatte manchmal größte Schwierigkeiten, überhaupt etwas zu verstehen. Sie kam sich unter ihren eigenen Leuten fremd vor. »Ei, das wird schon, du gewöhnst dich noch daran«, tröstete Jettl, die merkte, dass ihr Schützling sich bei den Unterhaltungen mühte.
Weitere Kostenlose Bücher