Die Silberne Festung
sich zu Clancy um, der auf den um die Kommandobrücke führenden Laufgang getreten war und die beiden auf Katapulten stehenden F-14 Tomcats beobachtete. Hinter dem umklappbaren Strahlabweiser warteten zwei F-14, die nach ihnen starten sollten, und acht weitere Maschinen, die paarweise zu den Katapulten rollen würden. Der Aufzug 3 brachte gerade eine weitere Tomcat vom Hangardeck nach oben. Das Flugzeug war in Triebwerkslärm und Abgasschwaden gehüllt, und auf den Laufgang fiel kalter Regen – aber Clancy befand sich in seinem Element, während er beobachtete, wie seine Männer ihre Arbeit taten.
Ein Läufer kam zum Kapitän und brachte ihm einen Computerausdruck.
»Meldung von der Mississippi, Admiral!« rief Edgewater. Als Clancy nicht reagierte, trat der Kapitän auf den Laufgang hinaus. »Die Mississippi hat eine aus dem Norden des Arabischen Meeres kommende sowjetische Abwurflenkwaffe ASM-6 abgeschossen.«
»Was ist mit den Bombern? Haben unsere Tomcats…?«
»Alle sechs abgeschossen«, berichtete der Kapitän. Er gestattete sich ein Lächeln. »Die Tomcats haben fünf abgeschossen; die sechste ist außer Kontrolle geraten.«
Clancy hob den Kopf und ließ die kalten Regentropfen auf sein Gesicht klatschen.
Danke, Silver Tower…
Kosmodrom Tjuratam, UdSSR
In der Nacht nach dem fehlgeschlagenen Angriff der Tu-26 auf die Kampfgruppe Nimitz im Arabischen Meer erschien ein Uniformierter in Goworows Wohnung in Tjuratam. Sein lautes Klopfen an der Wohnungstür ließ Goworows Frau hochschrecken und weckte ihre fünfjährige Tochter, die weinend fragte, ob das Haus brenne. Als Goworow die Tür öffnete, stand draußen ein Adjutant des Verteidigungsministers mit einem versiegelten Briefumschlag in der Hand. In dem Schreiben wurde Goworow mitgeteilt, daß auf dem Flughafen Tjuratam eine MiG-31 für ihn bereitstehe, weil er sich sofort beim Führungsstab zu melden habe. Auch der genaue Zeitpunkt, zu dem er eintreffen sollte, war angegeben.
Goworow war aufgebracht, aber er ließ sich Csilikows Adjutanten gegenüber nichts anmerken. Zum angegebenen Zeitpunkt konnte er unmöglich eintreffen – selbst mit einem der schnellsten Jäger der Welt nicht.
Aber dahinter steckte die Absicht, ihm deutlich zu zeigen, wie unzufrieden die Stawka mit ihm war.
Während der Adjutant sich vorn neben den Fahrer der Limousine setzte, griff Goworow auf dem Rücksitz nach dem Hörer des Autotelefons und wählte die Nummer seiner Dienststelle.
»Hier Marschall Goworow«, meldete er sich. »Der Offizier vom Dienst?… Gulajew? Verbinden Sie mich mit ihm… Nikolai, ich bin nach Moskau beordert worden. Rufen Sie den Flugplatz an und sorgen Sie dafür, daß der Pilot der MiG-31 vom Dienstplan genommen und durch mich ersetzt wird. Ich fliege selbst nach Moskau… Sorgen Sie dafür, daß mein Druckanzug und mein Fallschirm von der Flugbereitschaft an die Maschine gebracht werden… Und ändern Sie den Einsatzflugplan für unsere Raumflugzeuge folgendermaßen ab: Ich fliege Elektron eins, Oberst Koschedub bekommt Elektron zwei, und Oberst Litwjak fliegt Elektron drei.
Bis zu meiner Rückkehr wird Woroschejkin als Pilot von Elektron eins eingetragen. Pokryschkin und er halten sich als Ersatz bereit, sobald ich wieder zurück bin.«
Goworow legte den Hörer des Autotelefons auf und beugte sich nach vorn. »Schneller!« wies er den Fahrer an.
12
OKTOBER 1992
Ausweichhauptquartier Nowomoskowsk, UdSSR
Dies war das erste Mal seit Monaten, daß irgendein Mitglied des sowjetischen Oberkommandos sich in dem Ausweichhauptquartier 165 Kilometer südlich von Moskau aufhielt. Dieses Hauptquartier nahm niemals an Alarmübungen oder Manövern teil, es war nur von einem kleinen Stab ausgesuchter Techniker und Soldaten besetzt und hatte keinen eigenen Flugplatz, nur einen Hubschrauberlandeplatz für aus Moskau nach Nowomoskowsk ausweichende Stawka-Mitglieder.
Tatsächlich war Nowomoskowsk vermutlich der sicherste Ort Osteuropas. Das von sowjetischen Ingenieuren entwickelte Verfahren zum Verschweißen sehr dicker Stahlplatten war sofort auf Boden, Wände und Decken des fast 300 Quadratmeter großen Bunkers angewendet worden, dessen Umhüllung aus 1,20 Meter starken Stahlplatten bestand. Diese Stahlkammer ruhte auf gigantischen Stoßdämpfern, die Schutz vor den Erschütterungen einer in der Nähe stattfindenden Atomexplosion geboten hätten. Zwei Dutzend Männer und Frauen konnten hier unten mindestens ein Vierteljahr lang bequem leben und arbeiten.
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