Die silberne Maske
spät.
Der Bahamaer hatte sich in den letzten Tagen, seit Laura ohne ihn mit dem Dolch aufgebrochen war, ziemlich verändert. Er war still und reizbar geworden und meist für sich geblieben. Finn hatte ihn nur selten gesehen, und wenn, hatte Milt sich nicht gerade kommunikativ gezeigt. Wo sollte das hinführen? Warum drehte er jetzt durch, nach all dem, was sie gemeinsam erlebt hatten?
Finn zerbrach sich den Kopf; er wollte einerseits den Freund nicht aus den Augen lassen, andererseits musste er etwas unternehmen.
Schließlich hatte er eine Idee. Nicht ganz fein, weil er jemanden ausnutzte, aber Ablenkung war das Einzige, was funktionieren könnte.
Milt kochte vor Wut. Ein Teil in ihm wusste, wie dumm er sich verhielt, der andere aber konnte nicht mehr anders, es musste aus ihm heraus. Sein Arbeitsleben lang hatte Milt immer Zurückhaltung üben müssen. Die Launen der Touristen ertragen, die Balance finden zwischen Höflichkeit und Bestimmtheit. Wenn die Touristinnen ihm Avancen machten, denen er nicht nachkommen wollte, und die Touristen alle Frauen als Freibeute betrachteten. Wenn ihnen draußen zu heiß war und drinnen zu kalt, das Wasser zu stürmisch oder zu glatt, das Essen zu scharf oder zu fad, die Ausflüge zu teuer, die Wege zu beschwerlich, das Abenteuer zu wenig. Milt hatte niemals seine Meinung sagen und niemanden vergraulen dürfen, schließlich war das Familienunternehmen auf Empfehlungen angewiesen. Seine Eltern hatten stets lediglich die Achsel gezuckt, wenn er sich bei ihnen beklagen wollte - das sei sein Job, den er professionell zu erfüllen habe. Man müsse sich eben anpassen, und das sei zwar nicht immer einfach, aber der einzige Weg.
Milt hatte also immer lächeln müssen, immer freundlich sein, hatte Rabatte geben müssen, wo keine angebracht waren, und sich für Dinge entschuldigen, die andere verbockt hatten. Er hatte Prügel von eifersüchtigen Ehemännern und Ohrfeigen von abgewiesenen Frauen einstecken müssen.
Seit er in Innistìr war, hatte er sich mehr denn je der Willkür anderer ausgesetzt gesehen, war ständig von irgendetwas oder irgendjemandem bedroht worden. Außerdem musste er Laura beschützen, die ständig nur ausgenutzt wurde.
Das Maß war voll.
Veda kam ihm da gerade recht, um ein für alle Mal aufzuzeigen, dass er nicht mehr nur einstecken würde. Selbstverständlich konnte er nicht gegen sie ankommen, aber er wusste, dass sie nicht willkürlich jemanden erschlug, schon gar nicht jemanden, der auf ihrer Seite stand und zu dessen Schutz sie eigentlich abgestellt war. Sie würde ihn verprügeln, aber ihm nicht alle Knochen brechen. Das konnte er also überstehen. Und da Laura inzwischen sowieso alles ohne ihn machte, konnte er sich ruhig eine kurze Auszeit gönnen, um sich von den Nachwirkungen zu erholen. Die fünf Wochen noch, die ihnen verblieben - was machte es aus, ob er mit einem blauen Auge und nutzlos starb oder völlig intakt und nutzlos?
Außerdem ... ganz so wehrlos war er gar nicht. Laura hatte es ihm zwar verboten, aber dennoch war er der Obeah-Mann. Er konnte seine Geister zu Hilfe rufen!
»Willst du weiter nur im Kreis tänzeln?«, rief Veda ihm zu. »Komm her, ich lasse dir den ersten Schlag!«
Milt steckte das Messer ein und schloss die Augen. Er hatte darin sehr viel Übung, und es war nur ein kurzer Impuls, den er absetzen musste. Diese Art der Anrufung beherrschte er schon als Kind, damals, als sein Herz gesundet und er endlich wieder beweglich geworden war und die Jungs in der Schule gemeint hatten, ihn mit seinem neuen Status erst mal vermöbeln zu müssen, um ihm klarzumachen, dass er im Rang ganz unten stand, nun aber nicht mehr den »Spasti-Bonus« hatte. Die hatten ihr blaues Wunder erlebt!
Es hatte hinterher nicht mal Ärger für Milt gegeben, weil es den Burschen zu peinlich gewesen war; außerdem hatten sie gar nicht so recht verstanden, was überhaupt geschehen war, so schnell war alles gegangen.
Und nun würde Milt nach so langer Zeit noch einmal diesen Zauber einsetzen.
Er öffnete seinen Geist und schickte seinen Ruf hinaus. Das war leichter, als wenn er um Unterstützung für Laura bat - es ging nur um ihn und nur um eine Kleinigkeit. Hierbei waren die Geister immer gern behilflich und ließen sich nicht lange bitten. Zudem brauchte er seinen Ruf nicht so weit hinauszusenden.
»Ich habe genug!«, rief Veda zornentbrannt, weil er ihr nach wie vor, obwohl er sie herausgefordert hatte, nicht genug Aufmerksamkeit zuteilwerden
Weitere Kostenlose Bücher