Die Silberschmiedin (2. Teil)
Fenstersims und konnte doch nicht verhindern, dass die Kraft sie verließ, als wäre sie ein leckes Gefäß. Langsam rutschte sie an der Wand hinunter auf den Boden und schlief ein.
Eva holte leise ein paar Felle und deckte ihre Mutter damit zu. Dann schloss sie den Holzladen und das Fenster, löschte die zahlreichen Kerzen und verließ auf leisen Sohlen das Wohnzimmer.
Die Stimme der Krämersfrau riss Eva aus ihren Gedanken und verjagte die schmerzliche Erinnerung.
»Habt Ihr von dem Mädchen gehört, das mit einer silbernen Maske gefunden wurde? Eine Hexe war es, die ihr Kind zu Tode gebracht hat, heißt es. Eine Hexe oder der Leibhaftige selbst.»
Bei diesen Worten verfinsterte sich Susannes Gesicht. Eva bemerkte es. Nachdenklich sah sie die Stiefschwester an. Sie glaubte zwar nicht an Hexen. Doch es gab etwas in Susanne, das in ihr ein leises Unbehagen hervorrief. Susanne schien so fest zu wissen, wer sie war und was sie wollte. Nie schien sie Unsicherheit, Zweifel oder gar Ängste zu spüren. Auch jetzt, mit der Inquisition auf den Fersen, saß sie in der Kutsche und sah sich um, als gehöre sie in diesen Tross voll wertvoller Güter.
Um sich von ihren unangenehmen Gedanken abzulenken, blickte Eva aus dem Fenster.
Gerade kamen sie an einem kleinen Weiher vorbei. Eine alte Frau pflückte Pflaumen vom Baum, und bei diesem Anblick stiegen in Eva Erinnerungen an das Pflaumenmus der treuen Köchin in der Toskana auf. Zu dieser Jahreszeit hatte sie es immer auf den Tisch gebracht, und jedes Mal war es ein besonderer Schmaus gewesen.
Fast glaubte sie, es riechen zu können, so deutlich war die Erinnerung daran. Eva musste schlucken. Sie warf noch einmal einen wehmütigen Blick auf die Alte, dann war die Kutsche weitergerumpelt und kam an einem Hügel vorbei, auf dem ein Galgen stand. Ein vor kurzem gehenkter Mann hing daran, Eva konnte die Zunge erkennen, die ihm aus dem Mund hing.
«Ich muss mal. Es ist die Aufregung. Der Kutscher soll anhalten», verlangte Susanne und sah Eva auffordernd an.
Eva schreckte hoch und klopfte an die Wagenwand, um den Kutscher zu verständigen. Sofort zügelte der Mann die Pferde. Susanne sprang heraus, und auch Eva nutzte die Gelegenheit. Sie stieg aus, reckte und streckte ihre Glieder.
Der Mann am Galgen schwankte leise im Wind hin und her, das morsche Holz knarrte. Plötzlich kam ein Raubvogel und setzte sich oben auf den Galgen. Obwohl sie ahnte, was jetzt gleich passieren würde, ging Eva näher heran.
Der Vogel flog auf die Schulter des Gehenkten. Eva sah, wie er mit dem Schnabel nach den Augen des Toten hackte. Unwillkürlich musste sie an das Mädchen vom Flussufer denken.
Heinrich war neben sie getreten.
«Überall Tod und Abschied», sagte Eva traurig. «Es ist, als ob alles zugleich stirbt. Die Blätter fallen von den Bäumen, die Heimat geht verloren, und hinter jeder Wegbiegung lauert der Tod. Vielleicht haben die Priester doch Recht, und der Untergang der Welt ist tatsächlich nahe.»
Heinrich nickte. «Ich habe schon viele Gehenkte gesehen, habe auch schon gesehen, wie Tiere sich an Toten zu schaffen machten. Aber nie so viele wie in diesem Jahr. Die Sünde, scheint es, ist in die Welt gekommen. Wenn der Teufel sich sogar schon die Jungfrauen holt, dann dauert es nicht mehr lange, bis das ganze Land in Flammen aufgeht.»
«Du meinst die Tote mit der silbernen Maske, nicht wahr? Sag, hast du mehr gehört?», fragte Eva.
Heinrich schüttelte den Kopf. «Ich weiß auch nicht mehr als alle anderen.»
«Wie kann ein Mensch nur so grausam sein?», fragte Eva.
Heinrich zuckte mit den Achseln. «Ich weiß es nicht. Vielleicht war es wirklich der Satan oder eine Hexe. Vielleicht aber auch nicht. So manch einer ist besessen, ohne dabei ein Teufel zu sein. Ich habe mal von einem gehört, der jungen Mädchen das Haar abschnitt, um sich ein Kissen damit zu stopfen. Als er deswegen vor Gericht stand, erklärte er, den Duft der Jungmädchenhaare bannen zu wollen, ehe das Alter ihn vernichtet. Bewahrer der Schönheit nannte er sich.»
Heinrich sah sich nach der Kutsche um und nahm Eva behutsam beim Ellenbogen: «Lasst uns zu den anderen gehen. Wir wollen heute noch ein gutes Stück schaffen.»
Der Rest der Fahrt verging bei leisem Geplauder. Hin und wieder schlief einer der Fahrgäste ein, wurden Äpfel verzehrt oder Most aus einem Schlauch getrunken. Am Abend machte man bei einer Herberge Station. Die Pferde wurden ausgespannt, gefüttert und getränkt, die
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