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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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bis auf den Grund ihrer Seele schauen.
    Zögernd nahm sie das Blatt und entrollte es.
    Sie hatte mit vielem gerechnet, doch nicht damit. Eva ließ die Zeichnung sofort fallen, als hätte sie sich verbrannt.
    Ihre Augen verdunkelten sich und schauten starr, ihr Lächeln verschwand.
    Heinrich bückte sich, nahm das Blatt und sah darauf.
    «Ihr habt sie als Tier gezeichnet!», rief er aus und schüttelte vor Verwunderung den Kopf. «Als Hündin gar! Eine Jagdhündin.»
    Susanne lachte schrill auf. «Ihr kennt die Menschen wohl recht gut?», fragte sie lauernd, und die Genugtuung troff aus ihrer grellen Stimme.
    Der Fremdling bedachte sie mit einem so kalten Blick, dass Susanne verstummte.
    «Möchtet Ihr noch immer von mir gezeichnet werden?», fragte er kühl. Susanne blieb ihm die Antwort schuldig.
    «Ich … ich bin kein Tier, schon gar keine Hündin», Eva war noch immer bestürzt. «Was soll das? Warum habt Ihr mich so dargestellt? Wer seid Ihr, dass Ihr so etwas wagt?»
    Der Fremdling antwortete leise und mit überraschender Zärtlichkeit in der Stimme: «Damit Ihr versteht, dass Ihr vorbestimmt seid, das zu sein, was Ihr sein wollt.»
    Eva wurde wütend. Die Empörung färbte ihr die Wangen rot, und aus ihren Augen schossen blitzende grüne Pfeile. «Ich bin die, die ich bin, und die, die ich sein will. Eine Hündin, die dem Pfiff ihres Herrn folgt, jedoch gewiss nicht.»
    «Und wer seid Ihr?», fragte der Fremde weiter. «Wer, wenn kein Tierchen voller Sinnlichkeit?»
    «Eine Frau bin ich», erwiderte Eva. «Eine unabhängige Frau, die sich ihren Beruf nach eigenem Willen gewählt hat und dasselbe auch in der Liebe vorhat. Niemandes Hündin bin ich und werde es auch niemals sein.»
    «Mitten in die Welt habe ich dich gestellt, sprach Gott», sagte der Fremdling. «Damit du umso leichter um dich schaust und siehst, was darinnen ist. Ich schuf dich als ein Wesen weder himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich, allein, damit du dein eigner freier Bildner und Gestalter seist. Du kannst zum Tier entarten und zum Gott ähnlichen Wesen dich wiedergebären.» Eva erkannte die Gedanken von Pico della Mirandola. Von seiner Rede «De dignitate homini» hatte sie in Florenz viel gehört. Das war das erste Mal, dass jemand in Deutschland darüber sprach. Doch bevor sie dem Fremdling antworten konnte, stand Heinrich auf und stellte sich drohend hinter den Mann. «Pass auf, was du sagst, Fremdling. Wie leicht gerät man in dieser Zeit wegen ein paar unvorsichtiger Worte an den Galgen. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob das nicht der richtige Platz für einen Gotteslästerer wie Euch wäre.»
    Eva hielt den Atem an. Sie konnte Heinrich jetzt nicht in den Rücken fallen. Er hatte den Fremdling beleidigt. Zwar schuldete die Jugend dem Alter Respekt, doch der Fremdling pflegte sich nicht an die gemeinen Bräuche zu halten. Würde er einen Händel mit Heinrich anfangen?
    Doch der Fremdling lachte aus vollem Halse. «Diese Worte sind nicht von mir, auch wenn ich wünschte, sie wären es. Ein italienischer Philosoph, Pico della Mirandola, hat sie verbreitet. Und eine Vielzahl der italienischen Gelehrten stimmt ihm zu.»
    Er erhob sich, stand groß und breitschultrig vor dem eher schmächtigen Heinrich, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: «Nichts für ungut, Herr. Ein jeder erschrickt, wenn er erfährt, dass außer Gott noch ein Tier in seiner Seele haust.»
    Er verbeugte sich leicht vor Eva, dann verließ er das Gasthaus. Das Blatt lag unbeachtet auf der Bank, bis Susanne es schließlich an sich nahm.
     
    Am nächsten Morgen stieg Nebel aus den Tälern hervor, überzog die ganze Gegend mit einem Dunstschleier und gab den Menschen einen ersten leisen Vorgeschmack auf den kommenden Winter. In der Kutsche wurde es feucht und kalt. Eva zog die Decke enger um sich und versuchte zu schlafen. Nun, da die Krämerin nicht mehr mit von der Partie war, war die Unterhaltung spärlich geworden. Plötzlich setzte sich Susanne aufrecht hin und riss den ledernen Vorhang, der vor Nässe und Kälte schützen sollte, zur Seite. Sie wies mit der Hand nach draußen und rief: «Schaut mal, wer da läuft! Ist das nicht unser großer Zeichenkünstler von gestern Abend? Geschieht ihm nur Recht, dass er im Nebel waten muss.»
    Schadenfroh begrüßte sie ihn: «Na, Fremdling, wer von uns ist jetzt wohl eher ein Tier? Wir oder Ihr?»
    Der Fremdling lächelte und wischte sich mit einer Hand die Nässe aus dem Gesicht. «Dass in mir ein

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