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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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stolz.
    »Und der Braten in der Röhre, auch deiner?«
    Da aber zeichnete Verärgerung sein Gesicht. »Sie zweifeln die Güte meines Samens an?«
    »Über Ihren Samen wollte ich eigentlich überhaupt nicht reden.«
    »Werden Sie bloß nicht unverschämt.«
    Charlie hob beschwichtigend die Hände. »He, nicht böse gemeint. Alles, was ich sagen wollte, war: Respekt! Und Ihnen beiden langes, glückliches Leben in jeder erdenklichen Hinsicht, okay?« So war diese Sache aus der Welt geschafft, und was an Verstimmung und Verbitterung übrig war, wurde beigelegt durch unseren Großeinkauf. Erstand ich nur einen Hut und ein Hemd, geriet Charlie in einen wahren Kaufrausch und kleidete sich von Kopf bis Fuß neu ein, und der alte Mann stieg um vierzig Dollar reicher ins Bett und war froh, es unseretwegen verlassen zu haben. Als wir dann in unseren neuen feinen Sachen weiterritten, sagte ich zu Charlie: »Das wäre auch ein hübsches Gewerbe.«
    »Hübscher als Leute erschießen auf jeden Fall«, pflichtete er mir bei.
    »So ein Leben könnte ich mir für mich auch vorstellen. Ich denke manchmal, ich sollte ein bisschen kürzertreten. War es nicht nett da drin in diesem Laden? Allein das Anzünden der Lampen, so anheimelnd. Und dann der Geruch von all den neuen Sachen.«
    Doch Charlie schüttelte bloß den Kopf. »Ich würde wahnsinnig werden vor Langeweile. Und spätestens nach dem hundertsten Mal würde ich die Nummer mit dem stummen Mädchen nicht mehr ertragen und sie erschießen. Oder mich selber.«
    »Ja, aber es hat etwas Friedliches. Ich wette, der alte Mann schläft sehr gut.«
    »Schläfst du etwas nicht gut?«, fragte Charlie ernst.
    »Nein«, sagte ich. »Und du auch nicht.«
    »Ich schlafe wie ein Stein«, widersprach er.
    »Du stöhnst und wimmerst im Schlaf.«
    »Das sagt der Richtige.«
    »Es ist aber wahr, Charlie.«
    »Sag das nicht«, sagte er und zog den Rotz in der Nase hoch. Dann war er still, als müsse er erst entscheiden, wie ernst ich das gemeint hatte. Offen fragen konnte er mich nicht, denn damit hätte er sich verraten. So oder so, von diesem Moment an war aus ihm jede Freude gewichen. Er vermied es auch, mich anzusehen. Ich dachte indes bei mir: Jeden von uns kann es treffen, vor Kummer und Leid ist niemand gefeit.

Wir stiegen in einem zugigen, windschiefen Gasthaus im Süden der Stadt ab. Sie hatten nur noch ein einziges freies Zimmer, das wir uns notgedrungen teilen mussten, obwohl wir das für gewöhnlich nicht tun. Normalerweise hat jeder von uns sein eigenes Zimmer. Als ich am Waschtisch meine Zahnbürste und das Zahnpulver auspackte – beides hatte Charlie noch nicht gesehen –, wollte er natürlich wissen, was es damit auf sich hatte. Ich erklärte ihm die Handhabung und schnalzte abschließend mit der Zunge: »Höchst erfrischend für den gesamten Mundraum.«
    Charlie dachte einen Moment lang nach. »Gefällt mir nicht«, sagte er. »Nein, das ist Unsinn, wenn du meine Meinung hören willst.«
    »Denk, was du willst. Aber Dr. Watts sagt, die regelmäßige Anwendung beugt Zahnfäule vor. So kriegt man niemals faule Zähne.«
    Charlie blieb trotzdem skeptisch. Er sagte, mit dem Schaum vor dem Mund sähe ich aus wie ein tollwütiges Tier. Ich entgegnete, ein paar Minuten täglich wie ein tollwütiges Tier aussehen sei immer noch besser, als ein ganzes Leben lang wie eines zu riechen. Womit die Zahnbürsten-Diskussion beendet war. Die Erwähnung von Dr. Watts wiederum erinnerte ihn an das gestohlene Betäubungsmittel, und er holte die Fläschchen samt Spritze aus seiner Satteltasche. Er wolle, sagte er, das Zeug an sich selber ausprobieren, und ich sah zu, wie er sich eine größere Dosis in die Backe spritzte. Als die Wirkung einsetzte, fing er an, sich im Gesicht zu kneifen und es auf jede erdenkliche Weise zu malträtieren. »Ich will verdammt sein«, sagte er und befahl mir, ihn zu ohrfeigen. Was ich tat, wenn auch nur leicht.
    »Ich spüre rein gar nichts«, sagte er.
    »Aber dir hängt das Gesicht runter wie ein Wackelpeter.«
    »Schlag noch einmal zu, aber fester«, wies er mich an, und ich tat es wieder. »Erstaunlich«, sagte er. »Und noch ein letztes Mal – so fest du kannst.«
    Ich holte aus und schlug ihn so hart, dass mir die Hand wehtat. »Aber das musst du doch gespürt haben. Dir flogen die Haare weg, und ich sah den Schmerz in deinen Augen.«
    »Das war nur die Wucht des Schlags. Von Schmerz keine Spur«, sagte er, immer noch voller Verwunderung. »Vielleicht steckt da

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