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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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noch lange, nachdem sie gegangen war, vor dem Spiegel stand und mich und mein Profil, das ich der Damenwelt darbot, scheel von der Seite ansah.

Bis zum Abend ging ich Charlie aus dem Weg, erst nach dem Essen kehrte ich in unser Zimmer zurück, wo ich ihn schlafend vorfand. Das Morphiumfläschchen lag leer auf dem Boden. Am nächsten Morgen frühstückten wir gemeinsam in unserem Zimmer. Oder vielmehr, er frühstückte, und ich fastete, da ich der Völlerei den Kampf angesagt hatte, die mich so unförmig machte. Charlie war immer noch verkatert, aber zumindest so guter Stimmung, dass er sich mit mir versöhnen wollte. Er zeigte mit dem Messer auf mich und sagte: »Weißt du noch, woher du deine Sommersprossen hast?«
    Ich schüttelte den Kopf, denn so leicht wollte ich es ihm nicht machen. Ich fragte ihn: »Weißt du Genaueres über das Duell?«
    Er nickte. »Einer von denen, ein gewisser Williams, ist Anwalt. Und denkbar schlecht beraten, sich auf eine solche Auseinandersetzung einzulassen. Der andere ist ein Farmarbeiter namens Stamm, ein Kerl mit krimineller Vergangenheit. Wenn man die Leute hört, kann Williams sein Testament machen.«
    »Was ist denn Gegenstand ihres Streits?«
    »Stamm hat Williams beauftragt, bei einem örtlichen Rancher den ausstehenden Lohn einzuklagen. Die Sache kam vor Gericht, und Williams verlor. Noch während der Urteilsverkündung hat Stamm seinen Anwalt zum Duell gefordert.«
    »Und der Anwalt ist vermutlich gänzlich unerfahren im Umgang mit Handfeuerwaffen.«
    »Man hört ja zuweilen von Gentleman-Revolverhelden, aber ich persönlich bin noch keinem begegnet.«
    »Das verspricht nicht gerade einen spannenden Kampf. Wir sollten weiterreiten.«
    »Wenn du aufbrechen willst, von mir aus.« Charlie holte eine Taschenuhr hervor, die, die er dem toten Goldgräber abgenommen hatte. »Es ist jetzt kurz nach neun. Reite du auf Tub voraus, ich hole dich später ein.«
    »Das mache ich auch.«
    Die Hotelfrau klopfte und räumte das Frühstücksgeschirr ab. Ich wünschte ihr einen guten Morgen, und sie nahm es freundlich auf, berührte beim Hinausgehen sogar kurz meine Schulter. Charlie grüßte sie ebenfalls, doch das überhörte sie. Dafür sprach sie mich auf meinen unberührten Teller an. Ich tätschelte meine Wampe und erklärte, dass ich abzunehmen gedenke – eine Herzensangelegenheit sozusagen.
    »Ach tatsächlich?«, sagte sie.
    »Wovon redet ihr eigentlich?«, fragte Charlie.
    Die Hotelfrau trug an diesem Morgen übrigens nicht ihre übliche fleckige Kittelschürze, sondern eine rote tiefausgeschnittene Leinenbluse, die den Blick bis auf das Schlüsselbein freigab. Charlie fragte sie, ob sie sich ebenfalls das Duell ansähe, und sie bejahte, riet aber zur Eile. »Sonst kriegt ihr beiden keinen Platz mehr. Hier in der Stadt wird es schnell voll, und freiwillig macht hier niemand für euch Platz.«
    »Vielleicht bleibe ich besser auch.«
    »Ach ja?«, fragte Charlie.
    Gemeinsam gingen wir drei zum Duellplatz. Während ich mich durch die Menge drängte, stellte ich erfreut fest, dass sich die Frau bei mir eingehängt hatte. Ich fühlte mich groß und wie ein rechter Kavalier. Hinter uns Charlie, der dabei ein absichtlich unverfängliches Liedchen pfiff. Schließlich fanden wir unseren Platz in der Menge, und es war genau so, wie die Frau gesagt hatte: Um jede Handbreit freie Sicht wurde erbittert gekämpft. Einem ungehobelten Patron, der meine Begleiterin abdrängen wollte, sagte ich gehörig Bescheid, und Charlie rief sogar: »Seht euch vor, ihr guten Leute, hier kommt der närrische Ehrenmann!« Als die Duellanten die Szene betraten, stieß mich erneut jemand in den Rücken, und ich wandte mich um. Es war ein Mann mit einem Kind von sieben oder acht Jahren auf der Schulter, das mich offenbar getreten hatte. Ich sagte: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Ihr Junge mich nicht in den Rücken treten würde.«
    »Echt wahr? Mein Junge soll das getan haben? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Es war aber so. Und wenn er es noch einmal tut, mache ich Sie allein dafür verantwortlich.«
    »Echt wahr?«, sagte er und machte ein Gesicht, als sei ich nicht bei Trost. Ich starrte ihn grimmig an, um ihm zu verdeutlichen, in welche Gefahr ihn seine Gleichgültigkeit bringen konnte, doch er sah an mir vorbei und hatte nur Augen für das, was sich auf dem Duellplatz abspielte. Ich wandte mich ab, um mich in Ruhe zu ärgern und der Frau Gelegenheit zu geben, meinen Arm noch fester zu umfassen,

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