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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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vielfach geschlagenen Jungen bekannt vorkamen, bildeten den Hofstaat und standen um ihn herum. Wahre Hünen, die uns im Vollbewusstsein ihrer eigenen Wichtigkeit und bar jeder menschlichen Regung anstierten. Ich wusste gleich, diese Männer waren ebenso furcht- wie hirnlos, und entsprechend waren sie bekleidet. Oder vielmehr bis zur Lächerlichkeit beladen mit Pelz und Leder und allerlei Gurten für Pistolen und Messer, sodass ich mich fragte, wie man unter dieser Bürde auch nur einen Schritt gehen konnte. Ihre Haare waren lang und zottig, und ihre Hüte, obwohl alle gleich, von einer Machart, wie ich sie zuvor noch nicht gesehen hatte, mit einer breiten weichen Krempe und oben spitz zulaufend wie ein Zauberhut. Wie kam es, fragte ich mich, dass sie trotz ihrer exzentrischen Aufmachung alle mehr oder weniger gleich aussahen? Vermutlich hat einer damit angefangen, und die anderen haben es ihm nachgemacht. Aber war der eine darüber erfreut oder verärgert gewesen, als sein persönlicher Schick so viele Nachahmer fand?
    Mayfields Schreibtisch bestand aus einer dicken Pinienscheibe von gut anderthalb Metern Durchmesser, an der sogar noch die Rinde war. Ich war versucht sie anzufassen, kam aber nicht dazu, denn Mayfield bellte sofort: »Wehe, du kratzt an der Rinde.« Meine Hand zuckte zurück, und ich schämte mich, wie ein Schuljunge behandelt zu werden. An Charlie gewandt, sagte Mayfield: »Jeder will an der Rinde kratzen, das macht mich wahnsinnig.«
    »Ich wollte sie doch nur anfassen, nicht daran kratzen«, sagte ich beleidigt, was mein Unwohlsein nur vergrößerte. Daher sagte ich mir, dass so ein naturbelassener Tisch so ziemlich das Dämlichste sei, das ich je gesehen hatte.
    Charlie reichte Mayfield das Bärenfell, worauf der Überdruss auf seiner Miene schlagartig jener gierigen Faszination wich, mit der ein Halbwüchsiger auf nackte Frauenbrüste starren mochte. »Ah!«, rief er. »Aaah!« Vor ihm auf dem Schreibtisch standen drei Messingglöckchen, die sich nur in der Größe voneinander unterschieden. Er betätigte das kleinste, worauf eine alte Zugehfrau erschien. Sie wurde angewiesen, das Fell an der Wand hinter dem Schreibtisch aufzuhängen, und klappte es auseinander. Blut und Gewebereste flogen durchs Zimmer und spritzen bis ans Fenster, was Mayfield nicht erfreute und weswegen er die sofortige Reinigung des Stücks anordnete. Die Frau rollte das Fell wieder ein und huschte gesenkten Blicks hinaus.
    Unterdessen ärgerten sich die Fallensteller, dass wir ihnen mit dem Bären den Ruhm streitig gemacht hatten, und waren daher geneigt, sich unfreundlich gegenüber uns zu äußern. Um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen, stellte ich uns mit unserem vollen Namen vor, was sie zum Schweigen brachte. Natürlich hassten sie uns deswegen umso mehr, dachte ich, aber nur noch im Stillen. Auch Charlie fand die vier fellbehangenen Figuren eher komisch und konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen. »Mir scheint, es herrscht unter euch eine Art Wettbewerb, wer als Erster die perfekte Rundform erreicht.«
    Mayfield konnte darüber lachen, und so sahen sich die Fallensteller unsicher an. Dann sagte der Größte von ihnen: »Du kennst unsere Sitten nicht.«
    »Du meinst also, wenn wir länger blieben, würden wir ebenfalls die Proportionen eines Büffels annehmen?«
    »Wollt ihr denn länger bleiben?«
    »Nein, wir sind nur auf der Durchreise. Doch ich bin immer dafür, eine schöne Stadt besser kennenzulernen. Also wundere dich nicht, wenn wir auf der Rückreise noch einmal vorbeischauen.«
    »Auf dieser Welt wundert mich gar nichts mehr«, sagte der Fallensteller.
    »Wirklich gar nichts?«, sagte Charlie mit einem Augenzwinkern an mich.
    Anschließend schickte Mayfield die Männer weg. Da es dunkelte, rief er nach Licht. Dies erreichte er mit Hilfe des mittleren Glöckchens, das einen anderen Ton von sich gab und auch einen anderen Menschen alarmierte, diesmal einen kleinen Chinesenjungen von vielleicht elf oder zwölf Jahren. Mit höchster Präzision, aber wie von der Tarantel gestochen, flitzte dieser von Kerze zu Kerze und zündete selbige an, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu verschwenden. Worauf Charlie sagte: »Mir scheint, der rennt um sein Leben.«
    »Nicht so sehr um sein Leben, eher um das seiner Familie«, sagte Mayfield. »Er spart jeden Penny, um sie eines Tages aus China nachzuholen. Schwester, Mutter, Vater – der Vater ist ein Krüppel, soweit ich verstanden habe, aber wer

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