Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Bruder jetzt eifersüchtig?«
»Auf jeden Fall will er alles darüber wissen.«
»Ist es nicht ein schönes Tuch?«
»Und es glänzt so.«
Ich knöpfte meine Jacke wieder zu, damit nicht jeder es sah. Sie schlang die Arme um mich und legte ihr Gesicht an mein Herz, das in diesem Moment wohl wie verrückt schlug. Danach verabschiedete sie sich und verschwand im Hotel, jedoch nicht ohne von mir noch Mayfields vierzig Dollar zu erhalten, die ich ihr in die Tasche ihres Rocks schob. Ich rief ihr nach, dass ich sie auf dem Rückweg wieder besuchen würde, doch sie reagierte nicht. Also blieb ich allein zurück und wartete, bis sich der Aufruhr in meinem Kopf legte. Auf keinen Fall wollte ich jetzt ins Hotel zurück, sondern nur laufen und laufen. In einer Seitenstraße sah ich eine kleine Häuserzeile und ging darauf zu.
Ich traf dort auf ein kleines Mädchen von sieben oder acht Jahren, das die feinste Kleidung trug und steif vor dem Gartenzaun eines hübschen, frisch gestrichenen Hauses stand. Sie hatte die Fäuste geballt, starrte voller Widerwillen oder auch Bosheit auf das Haus und weinte, aber ganz still und ohne jeden Laut. Als ich näher trat und sie fragte, was geschehen sei, sagte sie, sie habe einen Alptraum gehabt.
»Wie, jetzt eben?«, fragte ich, denn die Sonne stand hoch am Himmel.
»Nein, gestern Nacht. Aber ich hatte ihn vergessen, bis mich der Hund daran erinnerte.« Sie wies auf einen fetten Köter, der schlafend am Gartenzaun lag. Ich stutzte, als ich ein Bein des Hundes sah, das scheinbar abgerissen danebenlag. Erst der zweite Blick brachte Klarheit. Es war nämlich kein Hundebein, sondern ein abgenagter Lamm- oder Kalbsknochen. Trotzdem war noch genug Fleisch daran, dass eine Verwechslung durchaus möglich war. Ich musste lächeln.
»Ich dachte erst, das Bein gehört zu dem Hund«, sagte ich.
Das Mädchen wischte sich die Tränen von der Backe. »Gehört es doch auch«, sagte es.
Ich schüttelte den Kopf und zeigte auf den Hund. »Nein, der Hund liegt auf seinem Bein, deswegen sieht man es nicht.«
»Sie täuschen sich, Mister. Sehen Sie doch …« Sie pfiff, und der Hund erwachte und stand auf, und ich sah, dass dem Hund tatsächlich ein Bein fehlte, allerdings war die Stelle längst verheilt. Da mich der Anblick trotzdem sehr verwirrte, sagte ich: »Aber das Bein auf der Erde gehört zu einem Lamm, nicht zu dem Hund. Der Hund hat sein Bein schon vor Jahren verloren und leidet keine Schmerzen mehr.«
Darüber war das Mädchen erzürnt, weswegen es mich mit demselben bösen Blick bedachte wie vorhin das Haus. »Der Hund leidet sehr wohl Schmerzen«, sagte sie. »Und zwar nicht wenig.«
Die Heftigkeit ihrer Reaktion erschrak mich, und ich wich einen Schritt zurück. »Du bist ein absonderliches Mädchen«, sagte ich.
»Das Leben hier auf der Erde ist absonderlich«, entgegnete sie, worauf mir nichts einfiel, denn wo sie recht hatte, hatte sie recht. Doch sie war noch nicht fertig und sprach mit süßlicher Engelsstimme weiter. »Du musst mich noch zu meinem Traum befragen«, sagte sie.
»Es ging um diesen Hund, nicht wahr?«
»Ja, aber der Hund war nicht das Einzige. Da sind noch der Zaun, das Haus und du.«
»Ich war in deinem Traum?«
»Jedenfalls ein Mann. Ein Mann, den ich vorher noch nie gesehen habe. Aber der Mann ist mir eigentlich egal.«
»War es ein guter Mann oder ein böser Mann?«
Flüsternd antwortete sie: »Der Mann hatte einen Schutzengel.«
Sofort fiel mir die Hexe in der Hütte ein. Die Hexe, die Türschwelle und die Halskette. «Warum das denn?«, fragte ich. »Und wovor?«
Aber darauf gab sie keine Antwort. Stattdessen sagte sie: »Ich ging zu diesem Hund, den ich verabscheue. Gerade, als ich ihm sein Gift geben wollte, erschien mir im Garten eine faustgroße schwarze Wolke, die schnell größer wurde. Erst ein Fuß, dann zwei, dann zehn, dann so groß wie das Haus. Aus der Wolke kam ein kalter Wind, so kalt, dass mir das Gesicht wehtat.« Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, als sei die Erinnerung übermächtig.
»Was für ein Gift hast du dem Hund gegeben?«, fragte ich, denn ich hatte an ihrer rechten Hand Reste eines schwarzen Pulvers entdeckt.
»Die Wolke wurde noch größer«, rief das fürchterliche Kind voller Erregung. »Sie hob mich hoch und wirbelte mich im Kreis herum. Ich dachte: Alles wäre gut, wenn nur nicht der dreibeinige Hund, der längst tot war, mit mir durch die Lüfte wirbelt.«
»Das war aber ein schlimmer Traum,
Weitere Kostenlose Bücher