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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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elektrisierte. »Da, hörst du?« Das Geräusch war wieder da und dann noch einmal, und in dem Moment sah ich, was los war, verschwommen, aber immerhin. Da flogen Steinchen durch die Luft, die offenbar den Biber treffen sollten, denn ihm war es inzwischen gelungen, das erste Fass umzuwerfen. Wir verfolgten die Flugbahn der Steine bis zu ihrem Ausgangspunkt, einem Gebüsch, etwa zwanzig Meter vom Lager entfernt – auf unserer Seite des Flusses! Warm und Morris lagen also nur etwas weiter unten. Wortlos setzte sich Charlie in Bewegung, um sie sich von hinten zu schnappen. »Ich nehme Morris«, wisperte er. »Du hältst Warm in Schach, aber erschieß ihn nur im Notfall, ein Streifschuss am Arm reicht. So kann er für uns noch arbeiten – und reden natürlich.«
    Wie immer vor solchen Aktionen, dehnte sich mein Kopf und verwandelte sich in einen riesigen, dunklen Raum. Als wäre ein großes Tintenfass umgefallen, das nicht aufhören wollte zu fließen und alles in seinem Schwarz ertränkte. Meine Kopfhaut begann zu kribbeln und zu prickeln, und ich wurde ein anderer, als ich war. Man könnte auch sagen, ich bekam plötzlich dieses zweite Ich, und diese Person brannte darauf, endlich aus dem Schatten zu treten, hinein in eine Welt, in der sie tun konnte, was ihr gefiel. Ich fühlte zugleich Lust und Scham und fragte mich: Was gefällt mir eigentlich so daran, wieder zum Tier zu werden? In diesem Moment atmete ich schwer durch die Nase, während Charlie ganz ruhig blieb. Er wusste ja, wie es ging. Wusste, wie er mich dahin brachte, dass ich mich ohne jede Scham, ohne jegliche Bedenken in die Schlacht warf. Scham, dachte ich. Und Schande. Und Blut und Erniedrigung.
    Wir hatten uns Warm und Morris inzwischen so weit genähert, dass wir sahen, wo sie steckten. Sogar die Arme sahen wir, wenn die beiden Männer sich aus der Deckung wagten und die Steine warfen. Ich stellte mir vor, welchen Anblick ihr Versteck wohl bieten würde, wenn es von unserem Mündungsfeuer kurz und grell der Dunkelheit entrissen wurde. Jeder Stein, jedes Blättchen würde sich scharf abzeichnen, während die Gesichter der Männer erstarrt waren in der blitzartigen Erkenntnis, dass sie aufgeflogen waren.
    Da legte mir Charlie beschwichtigend die Hand auf die Brust. Er sah mir in die Augen und nannte mich bei meinem Namen, wodurch ich den oben beschriebenen Zustand wieder verlassen und in die normale Welt zurückkehren konnte. »Was?«, fragte ich, wie verstimmt über die Störung. Charlie aber hob den Finger und deutete in die Dunkelheit. »Da!« Ich schüttelte mich, um endlich wieder zu mir zu kommen, zu meinem alten Ich, und folgte seiner Geste.
    Von Süden kam eine Gruppe Männer auf uns zu. An den Gewehren erkannte ich, dass es sich um die Brüder mit den blauen Augen handelte, denen wir weiter unten begegnet waren. Ich erinnerte mich, wie sie aufhorchten, als von den Weinfässern die Rede war, auch wenn sie das nicht zeigen wollten. Diese Fässer wollten sie sich jetzt holen. Der Biber hatte inzwischen seine Beute ans Ufer gerollt, doch ein Tritt des größten und stattlichsten der Brüder beförderte ihn ins Wasser, wo er mit einem satten Platsch landete. Dort schlug das erzürnte Tier heftig mit dem Schwanz und alarmierte dadurch seine Getreuen, die alles stehen und liegen ließen und in ihre Burg flitzten, wo sie, eng aneinandergedrängt, vor Nachstellungen und Übergriffen böser Menschen sicher waren. Als Letzter und deutlich langsamer verließ der Häuptling den Schauplatz, entweder weil er von dem Tritt noch benommen war oder weil er in seiner Niederlage einen Rest Würde bewahren wollte. So stelle ich es mir jedenfalls vor, denn die kleinen Biester waren in allem so menschlich. Was sie taten, war so klug und umsichtig. Es waren eben gescheite Tiere.
    Der Oberbruder rollte das Fass die sandige Uferböschung hinauf und stellte es neben die anderen. Dann sah er im Zelt nach. Da das Zelt leer war, rief er: »Hallo?« Worauf ich aus der Ecke von Morris und Warm ein unterdrücktes Kichern zu hören meinte. Ein fragender Blick an Charlie. Was war da los? Das Lachen war übrigens echt, wurde sogar immer lauter, beinahe hysterisch. Die Brüder waren verunsichert und blickten sich unschlüssig an.
    »Wer ist da?«, rief der Oberbruder.
    Das Lachen hörte auf, und Warm sagte: »Wir sind da. Und wer seid ihr?«
    »Wir sind von dem Claim weiter unten«, sagte der Oberbruder. Er trat gegen ein Fass. »Wir würden euch gern etwas Wein abkaufen.«
    »Der

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