Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Verhandlungsposition.«
»Kann ich nicht erkennen. Sie sitzen immer noch im Gebüsch und wollen uns abknallen.«
»Warten wir doch ab, wie sie reagieren. Ich glaube, wir erreichen unser Ziel auch ohne weiteres Blutvergießen.«
Er setzte sich gegen einen Baum und kaute nachdenklich auf seinen Lippen herum. Mit einer stummen Handbewegung gab er mir abermals das Wort, das ich folgendermaßen ergriff: »Wenn du darüber mit uns nicht reden willst, zwingst du uns zum Handeln. Warm, ich meine es ehrlich, wenn ich sage, dass wir euch nicht umbringen wollen.«
Warm hatte dafür nur Hohn übrig. »Ihr verlangt, dass wir unseren Gewinn mit euch teilen, und wenn wir das nicht wollen, legt ihr uns um? Also aus unserer Sicht ist das kein gutes Geschäft.«
Ich sagte: »Nein, ich meinte, dass wir uns unseren Anteil verdienen wollen. Wenn wir euch wirklich umbringen wollten, hätten wir vorhin nur abzuwarten brauchen. Stattdessen haben wir euch das Leben gerettet.«
Worauf Morris etwas sagte, das ich nicht verstand, das jedoch von Warm weitergegeben wurde. »Morris sagt aber, der auf der linken Seite geht auf sein Konto.«
»Stimmt nicht.«
Dann war es eine ganze Weile still. Ich hörte sie nicht einmal miteinander reden.
»Ist jemand von euch verletzt?«, rief ich.
»Morris hat einen Streifschuss abgekriegt. Das ist schmerzhaft, aber sonst fehlt ihm nichts.«
Ich sagte: »Wir haben eine Medizin dabei, die gegen solche Schmerzen hilft. Auch Alkohol, um die Wunde zu säubern. Wir wollen zusammen mit euch Gold schürfen, und wir beschützen euch gegen Banditen und neugierige Eindringlinge. Du kannst es dir überlegen, Warm. Wir hatten euch heute schon so weit, dass wir euch hätten erledigen können. Aber das wollten wir nicht.«
Wieder ein längeres Schweigen, in dem weder Warm noch Morris zu hören waren. Wie tief ging ihre Gewissenserforschung? Würden sie die bekanntermaßen blutrünstigen Sisters-Brüder in ihrem exklusiven Club willkommen heißen? Dann raschelte etwas, gefolgt von einem Geräusch, mit dem ich zuerst nichts anfangen konnte, denn es passte so gar nicht zu unserer jetzigen Lage. Hermann Warm pfiff ein Lied. Ein Lied, das ich nicht kannte, das aber zu jener langsamen, sentimentalen Sorte zählte, die mir schon immer gefiel, mit einem Text, in dem es immer um Herzschmerz und Tod ging. Das Pfeifen wurde lauter, da Warm sein Versteck verließ und ins Freie trat, dann über den gewölbten Rücken des Damms ging und von da aus zu seinem Lager. Er war ein begnadeter Pfeifer, und sein Lied stieg auf, erfüllte die Luft und verhallte über dem leise murmelnden Fluss, nur um sich sofort wieder zu erheben. Wortlos stand Charlie auf und stieg den Hügel hinab. Ich wusste nicht, was gespielt wurde, und er auch nicht. Auch Warm wusste es nicht und Morris erst recht nicht. Offenbar hatte keiner einen Plan, und so gab auch ich das Versteckspiel auf und lief Charlie hinterher. Warm stand vor seinem Zelt und blickte uns entgegen. Sein Lied verstummte auch jetzt nicht, sondern schwang sich tremolierend in die romantischsten Höhen. Dabei hatte er wie ein Entertainer die Arme ausgebreitet, als wolle er sein ganzes Publikum umarmen.
Wir gingen über den Damm ans andere Ufer. Erst als wir ihm Aug in Aug gegenüberstanden, hörte das Pfeifen auf. Er war ein wilder Geselle, aber bestimmt einen Fuß kleiner als ich. Und er stank nach Alkohol und bitterem Kautabak. Seine Schultern waren mager, die Arme dünn, auch in den Hüften war er schmal, nur sein Bauch wölbte sich ungeheuer, und er hatte nicht die geringste Angst vor uns, soll heißen vor dem Tod. Deshalb war er mir erst einmal sympathisch. Und wie er aus der Deckung getreten war und dieses Lied pfiff, hatte auch bei Charlie seine Wirkung nicht verfehlt. Mut und Entschlossenheit beeindruckten ihn immer. Warm streckte die Hand aus, und wir ergriffen sie nacheinander, um den neuen Bund zu besiegeln, erst Charlie, danach ich. Dann wusste erst einmal keiner, was er sagen oder tun sollte. Morris, immer noch misstrauisch, war in seinem Gebüsch geblieben und tröstete sich mit der Whiskeyflasche.
Wir setzten das Feuer wieder in Gang, um in Ruhe über unsere Kooperation und das weitere Vorgehen zu beraten. Charlie plädierte dafür, noch in derselben Nacht ein ganzes Fass mit der geheimen Formel ins Wasser zu kippen, doch Warm sprach sich unter Verweis auf die eigene Trunkenheit und Erschöpfung dagegen aus. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass auch Morris irgendwann aus
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