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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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überließ das Feld einem dichten, kräftigen Regen, der trommelnd auf die Dachziegel niederging. Puglisi fror. Ein Schauder lief ihm über den Rücken und noch ein zweiter. Er zitterte.
    Da rief jemand auf der Treppe nach ihm. Es war Agatina.
      Als die junge Frau schwer atmend bei ihm anlangte, nahm er sie bei der Hand und führte sie in den Vorraum. Als erstes riß Agatina ganz weit die Augen auf und fragte:
    »Warum ist die Wohnung denn schwarz gestrichen?«
      »Das ist keine Farbe, das ist Rauch, der sich festgesetzt hat. Es ist ein Ruß, der giftig ist und tödliche Folgen haben kann.«
      Er versuchte, ihr die Dinge so behutsam und taktvoll wie möglich beizubringen. Doch Agatina war nicht auf den Kopf gefallen und kam rasch zum Schluß.
    »Und wo ist meine Schwester, ist sie im Schlafzimmer?«
    »Ja.«
    »Schlief sie?«
    »Ja.«
      Für einen normalen Menschen war es eigentlich unmöglich, die Augen noch weiter aufzureißen, als sie es bereits tat, aber sie schaffte es. Sie öffnete auch den Mund und wollte schreien. Genau das konnte Puglisi überhaupt nicht ertragen – das Geschrei und die Tränen der Frauen. Unvermittelt traf seine Hand Agatinas Wange: ihr Kopf wurde auf die andere Seite geschleudert, und sie landete an der Wand. Mit einem Satz war Puglisi bei ihr und erdrückte sie beinahe unter seinem Gewicht.
    »Sei still. Rühr dich nicht und schrei nicht. Beherrsch dich, sonst kriegst du noch eine Ohrfeige, daß dein Kopf in tausend Stücke zerspringt. Hast du mich gehört? Behalt von dir geben, du wirst nichts anstellen.«
      Er drehte sie mit dem Gesicht zur Wand, als wäre sie eine Puppe, packte sie um die Hüften, hob sie in die Höhe und trug sie ins Schlafzimmer. Agatina genügte ein kurzer Blick auf die zwei Statuen auf dem Bett, und ein dichter Schwall schoß aus ihrem Mund. Das Erbrochene spritzte auf die Schuhe des Kommissars. Da fing sie an, wirres Zeugs zu reden. Puglisi hielt sie immer noch halb in der Luft und brachte sie in die Küche, wo er sie auf dem einzigen Stuhl vor dem kleinen Tisch absetzte. Dann nahm er eine irdene Schüssel, tauchte sie in den Kessel, füllte sie mit Wasser und machte sich daran, Agatina gründlich den Mund und das ganze Gesicht zu waschen.
    »Geht's dir jetzt besser?«
    »Ja, ja.«
      »Dann hör mir gut zu: deine Schwester ist friedlich gestorben. Im Schlaf, während sie Liebe machte. Hörst du, was ich dir sage?«
    »Ja, ja.«

  »Sie hat nichts gemerkt, glaub mir. Im Moment des Todes hat sie weder Schmerz noch Angst verspürt. Das kann ich dir versichern, ich habe Erfahrung in solchen Dingen.«
    Sie schien sich wieder zu beruhigen und stand auf, um sich erneut das Gesicht zu waschen. Sie zitterte am ganzen Leib.
    »Was denn?«
    »Seit wann haben die beiden was miteinander gehabt?«
    »Sie hatten nichts miteinander.«
      »Ach ja? Kannst du mir dann erklären, wieso deine Schwester und Gaspàno Inclima nackt auf dem Bett lagen und fickten?«
      »Das muß das erste Mal gewesen sein, Herr Kommissar. Das erste und das letzte Mal.«
      Das erste Mal. Das erste Mal für eine Witwe, die fünf Jahre lang strenge Trauer gehalten hatte. Ein kleiner Batzen Glück, der sie das Leben gekostet hat.
      »Was für eine beschissene Gerechtigkeit waltet eigentlich über den himmlischen und irdischen Dingen?« fragte sich Puglisi im stillen.
      Als ob Agatina seine Gedanken erraten hätte, pflichtete sie ihm bei.
      »Was ist das bloß für eine Gerechtigkeit? Jetzt muß meine Schwester nicht nur mit dem Leben, sondern auch noch mit der Ehre bezahlen!«
      Da begann sie, anhaltend und verzweifelt zu weinen. Ihre Tränen rührten um so mehr, da alles lautlos geschah. Kein Wort, keine Klage gab sie von sich, nur ein Schniefen war hin und wieder zu hören.
    »Was ist das für eine Gerechtigkeit?« murmelte sie weiter. »Auch mit der Ehre?«
    küßte sie. Wieder sah sie seine Hand an, führte sie an ihren Mund und schleckte sie ausgiebig und gründlich ab, wie es die Hunde machen. Die saubergeleckte Hand drückte sie fest gegen ihr Gesicht. So verharrten sie eine Weile schweigend, bis Puglisi die Sprache wiederfand.
      »Bleib hier und tu keinen Schritt, auch wenn du ein Geräusch vernehmen solltest, laß dich nicht von der Neugier packen. Ich rufe dich, sobald alles in Ordnung ist.«
      Er ging wieder ins Schlafzimmer zurück, trat zu den beiden Toten, streckte die Hand aus und berührte ihre Körper. Sie waren noch weich und gaben nach, da

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