Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Kohlenpfanne. Das Licht, das es erzeugt, ist gespenstisch, denn aus dem Glas steigt farbiger Rauch auf. Trotzdem kann ich sehen, dass die beiden Frauen meine Sklavin Makarim und Taroob sind, eine von Zidanas Dienerinnen. Und was ist das da, in der Dunkelheit hinter ihnen? In einer Lücke zwischen all den Beuteln und Gefäßen liegt etwas Blasses, eingehüllt in dunkles Tuch. Eine der Frauen beugt sich vor, und das Licht fällt auf die hellblonden Locken, die aus dem Tuch hervorlugen. Momo … Er regt sich nicht, und mein Herz erstarrt in meiner Brust. Ich muss mir die Hand vor den Mund halten, um nicht aus Verzweiflung und Wut zu schreien. Makarim und Taroob sitzen einfach nur da, umgeben vom Rauch, der aus dem Gefäß aufsteigt: Sie reichen sich das bunte Mundstück hin und her und lachen.
Ich stehle mich auf die Seite, wo die Säcke am höchsten aufgestapelt sind, und ziehe mit übermenschlicher Kraft einige Pflöcke heraus, die die Zeltwände im Boden verankern. Dann krieche ich bäuchlings hinein. Doch die ganze Zeit höre ich eine Stimme im Kopf, die mir sagt, dass mein Sohn tot ist, er ist tot, und sie bewachen seine Leiche, damit Zidana ihn für einen magischen Ritus missbrauchen kann …
Doch dann bewegt sich das Bündel. Ich erstarre mitten in der Bewegung: Habe ich das geträumt? Sekundenlang halte ich den Atem an, warte und beobachte es. Ein Händchen taucht auf, eine winzige fuchtelnde Faust. Das ist Momos typische Angewohnheit, kurz bevor er aufwacht, seine kleine Herausforderung an die Welt. Im nächsten Augenblick wird er ganz wach werden und schreiend nach Milch verlangen. Die Erregung versetzt mein Blut wieder in Bewegung; stoßweise pulsiert es durch meine Adern. Noch ein paar Zentimeter auf Ellbogen und Bauch, und ich fühle das Tuch, in das er eingehüllt ist; ein Ruck, und ich habe seinen Fuß in der Hand. Jetzt kann ich das Gesicht sehen, noch halb im Schlaf verzogen. Das Mündchen öffnet sich und holt Luft, um zu schreien. Noch ein Ruck … und das Tuch bleibt an einem unsichtbaren Hindernis hängen. Verzweifelt ziehe ich erneut, dann hört man etwas reißen. Für mich klingt es ohrenbetäubend, als hätte ich gerade ein Loch in das Gewebe der Nacht selbst gerissen, doch die Frauen sind so mit ihrem Rauchen und Schwatzen beschäftigt, dass sie sich nicht einmal umdrehen. Einen Moment später habe ich meinen Sohn im Arm, der von meinem Anblick so überrascht ist, dass er vergisst zu weinen, und im nächsten sind wir schon wieder draußen und verschwinden in der samtigen Dunkelheit.
Zurück in meinem Zelt, mit einem zufrieden nuckelnden Momo im Arm, misstrauisch von Amadou beobachtet, der das Goldkettchen in irgendeinem geheimen Versteck hat verschwinden lassen, fühle ich ein gewaltiges Grauen, dem die Erleichterung darüber, mein Kind wiedergefunden zu haben, gewichen ist. Denn was sollen wir jetzt machen, wir zwei, inmitten von Feinden? Ich glaube, ich werde nie wieder ein Auge zutun.
VIERUNDZWANZIG
K aum zwei Wochen nach dem Abkommen mit den Berbern wandte sich das Wetter gegen uns, und schreckliche Schneestürme fegten über die Berge. Die englischen Messingkanonen ließen wir zurück, nachdem wir die Ochsen, die sie den ganzen Weg vom Tafilalt zogen, hatten schlachten müssen. Als Nächstes aßen wir die wenigen Berberschafe, die wir vor uns hergetrieben hatten. Jetzt bleiben uns nur noch die Lasttiere, aber sie sind haram , wie die Imame erklären: Der Prophet hat verboten, sie zu essen; jedes Tier hat seinen ihm zugewiesenen Zweck, und Lasttiere werden geboren, um Lasten zu schleppen, nicht, um als Nahrung für Menschen zu dienen. Alles andere haben wir schon verzehrt, bis auf das Pferdegeschirr und das Zaumzeug aus Leder; das kommt vielleicht als Nächstes.
Als wir vom Hunger geschwächt sind, lassen sich die heiligen Männer schließlich zu der Erklärung herab, die Umstände seien derart kritisch, dass wir das Verbot, Maultiere und Esel zu essen, außer Acht lassen dürften. Großer Jubel bricht aus. Doch Ismail würde lieber verhungern, als gegen ein einziges Wort des Korans zu verstoßen. Deshalb verkündet er, zusammen mit seiner unmittelbaren Dienerschaft – wozu leider auch ich zähle – auf Essen verzichten zu wollen, bis wir wie durch ein Wunder wieder auf Nahrung stoßen, die rein ist. Ich fürchte, dass nicht wenige von uns in diesem Augenblick heimlich unseren Herrn verfluchten, obgleich sie das nicht laut sagen würden. Hier in den Bergen gibt es überall djenoun ,
Weitere Kostenlose Bücher