Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Als er anfing zu laufen und dann natürlich zu rennen, wurde es noch schlimmer. Er ist wie ein kleiner djinn ; offenbar kann er sich nach Belieben unsichtbar machen. Unter Aufsicht stolziert er umher wie der kleine Emir, der er ist, trägt stolz seinen Ring an der Kette und untersucht alles – obwohl ich ihm strengstens eingetrichtert habe, dass er nichts essen darf, was nicht von mir kommt oder von Nus-Nus, wenn er beim Sultan ist. Jetzt, da sein Haar nachgedunkelt ist, kann Ismail mehr mit ihm anfangen und hat ihn zu einem echten kleinen Marokkaner erklärt, trotz seiner blauen Augen. Manchmal kommt er unvermittelt in den Harem, setzt ihn auf seine Schultern und geht mit ihm davon.
Zu Zidanas offensichtlichem Ärger überhäuft er Momo mit Geschenken. Mein kleiner Liebling trägt die verrücktesten Kostüme und ist selig; je kitschiger und glänzender, umso besser. Außerdem hat er seine diebische Ader behalten: Ständig entdecke ich irgendwelche neuen bunten Kinkerlitzchen, und wenn ich frage, wo er sie herhat, sieht er mich mit seinen unschuldigen Augen an und antwortet: »Von Dada.« Doch schon zwei Mal habe ich herausgefunden, dass es nicht stimmte. Die Herrscherin machte letzte Woche großes Aufheben wegen eines fehlenden Perlenanhängers und hat sogar ihre Dienerinnen auspeitschen lassen, weil sie sie für den Verlust verantwortlich machte. Dann fand ich ihn unter Momos Bettlaken wieder, und das ist noch nicht alles. Eine große, mit einem Smaragd geschmückte, hohle Silbernadel ist ebenfalls dort versteckt, dazu ein Armband mit orangefarbenen Glasperlen und Kaurimuscheln, das Miniaturporträt einer dunkelhaarigen Frau und ein goldener Ring mit dem Siegel des Herrschers, genau wie der, den Momo trägt. Aber es ist nicht sein Ring, dieser verborgene Schatz, denn der hängt um seinen Hals. Und dann fällt mir ein, wie Zidan gestern in einem Wutanfall die Höfe des Harems zusammengebrüllt hat und Mamass mir erzählte, dass er irgendetwas Wertvolles verloren habe. Rasch verstecke ich den Schatz wieder unter den Decken. Wie es aussieht, ist mein Sohn ein talentierter Taschendieb.
Als Nus-Nus das nächste Mal zum Harem kommt, schicke ich Mamass unter einem Vorwand weg, winke ihn zu mir und zeige ihm stumm Momos kleines Lager.
Er zieht die Brauen hoch und fängt an zu lachen. »Habt Ihr einem kleinen Ali Baba Unterschlupf gewährt?«
»Was soll ich machen?«
»Überlasst ihn mir«, sagt er nur.
Er bringt Momo mit einschmeichelnden Komplimenten auf seine Seite, erklärt aber dann, dass seine Kleidung – rote Satinhose und eine himmelblaue Tunika – zu langweilig für einen echten Emir sei und ein wenig verziert werden müsste. Sofort rennt der Kleine los und kommt wenige Sekunden später beladen mit seinen Schätzen wieder. Ein Stück nach dem anderen luchst Nus-Nus ihm ab, nachdem er zuerst seine Herkunft aufgedeckt hat. Als Entschädigung dafür, dass er ihm alles weggenommen hat, schenkt er meinem Jungen das breite goldene Armband, das er trägt. Es ist viel zu weit für Momos Arm, und so verbringt er eine ganze Weile damit, herauszufinden, wie er es am besten tragen kann. Es ist zu klein, um den Kopf hindurchzustecken, und zu schwer für die Halskette. Am Schluss beschließt er, es am Oberschenkel zu tragen, was ziemlich komisch aussieht, dann rennt er davon, um im Hof zu spielen, wo ich ihn sehen kann.
»Er ist ein kleiner Räuber!«, erklärt Nus-Nus beinahe bewundernd und verspricht mir, die Sachen ihren rechtmäßigen Besitzern wiederzugeben. Der Ring gehört tatsächlich Zidana, die Miniatur hat er dem venezianischen Gesandten abgenommen, als sein Vater direkt neben dem Mann stand und ihn auf dem Arm hatte. Das Armband mit den Kaurimuscheln gehört einer anderen Sultansfrau, die hohle Silbernadel mit dem Smaragd Zidanas Lieblingseunuchen Black John. Diese fasst Nus-Nus mit spitzen Fingern an, und auch nur an dem Edelstein.
»Was ist denn los damit?«
Er beißt sich auf die Lippen und erklärt mir so schicklich wie möglich, dass die Nadel nicht nur Black Johns Turban schmücke, sondern noch einen anderen, weniger dekorativen Zweck habe. Sein Blick weicht mir aus. Ich spüre, dass ich vom Hals bis zum Scheitel erröte und der heiße Schwall der Verlegenheit wie eine Flut in mir aufsteigt.
Nach einer quälend langen Pause verstaut er die gestohlenen Schätze in den Taschen seines Gewands, wünscht mir einen guten Tag und eilt hinaus. Er ist ein netter Mann, dieser Nus-Nus, und ein guter
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