Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
die Hunde! Ich glaube, am liebsten würden sie uns zerreißen, wenn sie könnten. Hassen sie uns wirklich so sehr? Kannst du dir vorstellen, dass Ismail ein solches Verhalten tolerieren würde?«
Er grinst wie ein Wolf. »Ismail kann von Glück sagen, dass er nicht hier herrscht. Ihren letzten König haben die Engländer direkt vor diesem Gebäude enthauptet.«
Er drängt sich an mir vorbei, und ich kann ihm nur schockiert nachschauen und mich fragen, in welches Land wir gekommen sind, dessen Untertanen zu derartiger Brutalität im Stande sind. Doch dann fallen mir Ismails Worte ein: »Meine Untertanen sind wie Ratten in einem Korb, und wenn ich ihn nicht ständig schüttele, beißen sie sich durch.«
Unter dem Schutz der königlichen Leibgarde werden wir in einen riesigen Saal geführt, der bis auf den letzten Platz mit prunkvoll ausstaffierten Menschen besetzt ist. Die Männer tragen Amtskleidung, die Frauen beugen sich über die Balkone ihrer Logen, um uns mit nicht weniger Neugier, aber doch besseren Manieren als das Volk draußen zu begaffen. Ich glaubte immer, der Gesandtschaftssaal in Meknès sei riesig, doch der hier ist zehnmal größer. Ich bestaune die kostbaren Tapeten an den Wänden, die geriffelten Säulen, den Glanz unzähliger flackernder Kerzen in den Wandleuchtern, die funkelnden Edelsteine an Händen, Ohren und auf Dekolletees. Die Decke ist mit ovalen Stuckprofilen in Form von Kränzen und goldenen Girlanden geschmückt, die ein Riese mit Helden in wallenden, goldbestickten Kleidern, gekrönten Häuptern und nackten Engeln in lebhaften Farben ausgemalt hat. Gerade als mir so schwindelig wird, dass ich den Blick senke, breitet sich Stille im Saal aus. Die Türen zu beiden Seiten eines großen, überdachten Podiums öffnen sich, und auf der einen Seite erscheint eine farblose kleine Frau mit unvorteilhaft hervorstehenden Zähnen, und auf der anderen ein hochgewachsener, beeindruckender Gentleman. Der Mann tritt vor das Podium, nimmt die kleine Frau an der Hand und geht mit ihr auf die beiden Throne zu, die unter einem purpurfarbenen Thronhimmel stehen. Sie nimmt auf dem einen und er auf dem anderen Thron Platz, und als ich in den ernsten, düsteren Zügen, dem schwarzen Haar und dem schwarzen Schnurrbart den Mann wiedererkenne, dem ich am Tag zuvor begegnet bin, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken, und mir wird erst recht schwindelig. Kann das sein? Der Mann gestern war ganz schlicht gekleidet, keine Spur von diesem ungeheuren Überfluss an Seide und Rüschen, und die nette Dame mit dem Kaninchengebiss befand sich zweifellos nicht unter denen, die sich so fröhlich unterhielten und ihn mit ihren Brüsten umgarnten. Ich starre ihn an, doch es ist kein Irrtum. Der Mann, mit dem ich gestern sprach, als wäre er einer wie du und ich, war niemand anderes als der König von England. Und neben ihm sitzt die Königin, seine Ehefrau, die einstige Infantin von Portugal, Katharina von Braganza, durch deren Mitgift Tanger den Engländern in die Hände fiel.
Als plötzlich ein Hofbeamter auftaucht und fragt: »Wer ist der Dolmetscher?«, werde ich aus meinen Gedanken gerissen.
Hamza und ich beanspruchen die Rolle beide wie aus einem Mund und starren uns böse an. Dann erklärt ben Hadou mit lauter Stimme: »Ich bin der Gesandte, mein Englisch ist gut genug.«
»Ausgezeichnet. Dann informiert bitte Euer Gefolge, dass es sich mit Blick auf die Beleidigung, die sich Sir James Leslie in Marokko von Eurem Sultan gefallen lassen musste, seiner Kopfbedeckungen und Schuhe zu entledigen und sich dem König barhäuptig und barfüßig zu nähern hat.« Nach dieser knappen Anweisung macht er auf dem Absatz kehrt und verschwindet wieder.
Ich werfe einen Blick auf die so sorgsam durch die Falten von ben Hadous purpurfarbenem Turban gefädelten Perlenbänder und dann auf sein finsteres Gesicht. Während er den eleganten Turban abwickelt, strömt die unterdrückte Wut wellenartig aus ihm heraus. Als wir in den Empfangssaal geführt werden, stolziert er den ganzen Weg bis zum Thron hochmütig und erhobenen Hauptes, ohne sich ein einziges Mal zu verneigen, woraufhin der englische König eine schwarze Braue hebt.
Wenn ich ehrlich bin, so kann ich mich kaum an den weiteren Verlauf der Zeremonie erinnern, so sehr beschäftigte mich mein schrecklicher Fauxpas am Tag zuvor und vor allem die Vorstellung, dass ich vermutlich nie wieder eine solche Gelegenheit haben würde, dem König Alys’ Botschaft zu
Weitere Kostenlose Bücher