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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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springt auf und versetzt mir einen Tritt in die Rippen. Ein weiterer Schwall ergießt sich aus meinem Mund, was sicher nicht in seiner Absicht lag, denn diesmal spritzt er auf seine zweifellos teuren Schuhe. Er heult auf wie ein Hund und tritt erneut zu, etwas tiefer. Diesmal spüre ich den Schmerz, und das ist gut: Er durchfährt mich wie eine reinigende Flamme. Ich fühle, wie die Wirkung der Droge ein bisschen nachlässt. Ich krümme die Zehen und spüre die Berührung mit dem Boden, zuerst schwach, dann bewusster. Mach schon, dränge ich meinen nutzlosen Körper. Ich konzentriere mich auf meine Hände, die an die Eisenstange gefesselt sind, lenke das Bewusstsein in meine Finger, sehe, wie sich einer nach dem anderen bewegt. Ich packe die Stange und fange an, sie zu drehen, an ihr zu zerren …
    »Was? Was?« Abdelaziz’ Stimme erhebt sich zu einem Kreischen. Er tastet nach seinem Dolch.
    Die Stange löst sich aus dem Boden, und ich lasse sie auf ihn niedersausen. Es ist ein wuchtiger Schlag, triumphierend mitten auf den Turban. Aber natürlich trägt der Großwesir einen Turban, der noch größer ist als der des Sultans. Er besteht aus Ballen von Tuch, die er in endlosen kompliziert angeordneten Falten um seinen Kopf gewickelt hat, bis der einer riesigen Zwiebel gleicht. Der Schlag setzt ihn eine Sekunde außer Gefecht, dann stürzt er sich mit dem Dolch auf mich. In seinen Augen funkelt die vereitelte Lust. Ich weiche dem ersten Angriff aus, versuche, den zweiten abzufangen, aber er steht da wie ein Fels. Der Dolch dringt unterhalb der Rippen in meine Magengrube. Ich spüre ihn nicht als Schmerz, sondern als Hitze, die meine Wut anstachelt. Ich lasse die Stange über dem Kopf kreisen, sodass der Schwung ihrer ganzen Länge in den Schlag übergeht, als sie mit voller Kraft gegen seine Brust prallt. Er stürzt, sieht einen Moment aus wie ein fliegendes Nilpferd, dann entweicht mit einem großen Schnaufen alle Luft aus seiner Lunge. Jetzt steht er nicht mehr auf, dafür werde ich sorgen. Ich balanciere mit einem Fuß auf einem Kissen, mit dem anderen auf seinem Bauch und reiße ihm den Dolch aus der schlaffen Hand.
    »Das reicht, Nus-Nus!«
    In der Tür steht ben Hadou mit dem stummen Sklavenjungen des Großwesirs an der Seite. Das Kind starrt beunruhigt auf den Dolch, dann auf seinen am Boden liegenden Master und rennt weg.
    »Komm mit. Sosehr wir ihn auch verabscheuen, das hat keinen Sinn.«
    Das Leben geht weiter, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert. Al-Attar verarztet ruhig und routiniert meine Wunde, ich ziehe mich um, und Ismail scheucht mich wie üblich herum, als wäre er nicht kurz davor gewesen, mir mit einem Hammer den Schädel einzuschlagen. Als Amadou und ich sein Abendessen vorkosten, ist er in einer wehmütigen Stimmung, wie so häufig, wenn er Blut vergossen hat.
    Wir sitzen auf einem Teppich vor seinem Hauptzelt, und er sieht zum Himmel auf. »Meine Astronomen haben gesagt, dass dieselben Sterne, die jetzt auf uns herableuchten, einst dem Propheten schienen, als er vor dem Eingang der Höhle von Hira saß. Sieh nur, Ash Shaulah, der erhobene Schwanz des Skorpions …« Er deutet auf die Myriaden von ununterscheidbaren Lichtpunkten am nächtlichen Himmel. »Und da, At-Tinnin, die Schlange: Sa’ad al-Malik, der Stern des großen Königs.« Er verharrt eine Weile bei diesem letzten Funken Licht, schweigend, nachdenklich, während das Mondlicht sein edles Profil betont und seine Augen mit einem silbernen Glanz überzieht. Am Ende fragt er: »Wie wird man sich einst wohl an mich erinnern, Nus-Nus?«
    Gab es je eine heiklere Frage, die auf eine ehrliche Antwort wartete? Im Lauf der Jahre haben wir beide über vieles diskutiert, doch meistens handelte es sich um praktische Themen: die Vorzüge von Wolle im Winter und Baumwolle im Sommer, die Qualität des Salzes aus unterschiedlichen Quellen wie Meer oder Wüste, das Wesen von Katzen und Kamelen. Er hatte mich nach Venedig gefragt, und ich sah, wie seine Augen glasig wurden, als ich von den Wasserstraßen erzählte: Er konnte sich nicht vorstellen, was ein Kanal ist, und es interessierte ihn auch nicht. Doch wenn ich von der Architektur sprach und dem zur Schau gestellten Reichtum, dann horchte er auf und stellte viele Fragen. Er hat sich nach Sprache und Übersetzung erkundigt, insbesondere mit Bezug auf die Handelssprachen; wir haben sogar über Aristoteles, Homer und Plinius gesprochen. Alles Schriftsteller, die vor der Entstehung des Islams

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