Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
werde ich ohne jeden Grund sterben.
Ich war dem Tod schon viele Male nahe. Im Palast des Herrschers stirbt jeden Tag jemand, häufig durch Ismails eigene Hand. Manche betrachten es als Ehre, vom Sultan selbst getötet zu werden; immerhin ist er ein sherif , ein Nachkomme des Propheten, und steht Gott daher näher, als es je einem von uns möglich sein wird. Man sagt, dass diejenigen, die durch die Hand des Sultans sterben, mit schattigen Rosengärten im Paradies belohnt werden, wo Milch, Honig und Wein fließen, wo die Wasser der Brunnen mit Ingwer und Kampfer versetzt sind und die Jungfrauen sich mit Weihrauch parfümieren. Doch in Zeiten der Panik sind es unweigerlich Maleeo und Kolotyolo, die mir ihre Befehle erteilen, und sie haben solche Anreize leider nicht zu bieten.
Ich versuche mich darauf vorzubereiten, meinen Vorfahren gegenüberzutreten, doch alles, woran ich denken kann, ist der wuchtige Schlag, das Loch in meinem zerbrechlichen Schädel, das herausspritzende Blut und Hirn und dass ich hier auf dem Boden sterben werde, zermalmt von einem Hammer, vor den Augen der Frau, die ich liebe.
Das ist der Gedanke, der mich plötzlich antreibt. Ich sehe mich um. Ismail steht drei Meter von mir entfernt, ohne in seiner Wut nachzulassen. Er kommt näher. Ich sehe, wie er dem Körper des nächsten Sklaven einen Tritt versetzt; der Mann regt sich nicht, ganz sicher ist er tot, und er geht weiter. Der Mann neben mir ist das Opfer des ersten Schusses, sein halber Kopf liegt zerfetzt im Gras. Verstohlen strecke ich die Hand aus und ergreife eine Hand voll Blut und Hirnmasse des armen Teufels. Rasch bedecke ich meinen Kopf und den Nacken damit, nehme eine verrenkte Haltung ein, mit abgeknicktem Kopf, und warte auf das Ende.
So liege ich, bis die Wärme des Tages nachlässt, bis es dunkel wird und der Mond aufgeht.
»Du kannst jetzt wieder aufstehen, Nus-Nus.«
Ich blinzele, drehe den Kopf herum, und mein Gesicht fühlt sich seltsam an, steif und kalt. Abdelaziz steht über mir, die Hände in die Hüften gestemmt. Der Mond schimmert in den Edelsteinen auf seinem Turban. Sein Gesicht liegt im Schatten, aber ich kann spüren, wie sein Lächeln in der dunklen Luft über mir hängt.
»Schlaues Kerlchen. Ich habe gesehen, was du gemacht hast.«
»Ist er weg?« Ich versuche, meinen Körper zu bewegen, aber er will nicht. Mit großer Mühe schaffe ich es, mich aufzusetzen. Immer noch fühlt sich mein Gesicht seltsam an, als wäre es nicht mein eigenes. Dann fällt es mir wieder ein. »Oh.« Ekel durchströmt mich.
Als Nächstes bekomme ich mit, wie Hände mich an den Armen packen und auf die Füße zerren. Ein Stück Tuch wird mir ums Gesicht gewickelt; es ist feucht, kalt und riecht nach einer starken Chemikalie. Mit einem Mal dreht sich alles um mich herum, und dann werde ich getragen wie ein geschlachtetes Schaf. Man bringt mich zu einem Zelt am Rand des Lagers. Von außen sieht es aus wie ein gewöhnliches Soldatenzelt, doch im Innern …
Irgendwer hat diesen Ort für nur einen einzigen Zweck ausgestattet. Überall stapeln sich Matratzen und Kissen, umgeben von französischen Spiegeln, und es stinkt nach starkem Rauch, süßem Harz und frischem Sperma. Zwischen den Kissen hat man eine Stange aus Eisen in den Boden gerammt. Ich fange an, mich zu wehren, doch meine Glieder sind schlaff und nutzlos, ausgeschaltet von dem, was ich durch das Tuch eingeatmet habe, und ich denke: Was für ein Teufel, er hat ein Mittel gefunden, das mein Bewusstsein wach hält, während der Körper schläft.
Man wirft mich auf die Schlafstätte und fesselt meine Hände an die Stange. Ich befehle meinen Füßen aufzustehen, vielleicht kann ich sie dann aus dem Boden hebeln und als Knüppel gegen meinen Feind benutzen, doch kein Muskel meines Körpers gehorcht mir. Ich höre, wie man einem der Sklaven befiehlt, Wasser, Seife und ein Tuch holen zu gehen. Ein paar Augenblicke später kommt der Junge zurück und wäscht mir das Blut und das übrige Zeug ab. Ich habe ihn im Lager schon gesehen, weiß aber seinen Namen nicht und würde ihn nicht aussprechen können, nicht einmal, wenn ich ihn wüsste. Daher reiße ich die Augen auf, um ihm zu zeigen, welch abscheuliche Demütigung dies für mich ist und dass ich mir wünschte, er würde Hilfe holen, doch er hält den Blick gesenkt, und sein Gesicht ist verschlossen. Zweifellos sieht er so etwas nicht zum ersten Mal. Vermutlich hat der arme Kerl sogar Schlimmeres am eigenen Leib erlebt.
Der
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