Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
sie hinterließen, aber natürlich wurden sie nicht bestraft. Sie gehören Ismails ruhmreicher Familie an, sind Pfeiler seiner ruhmreichen Dynastie. Den Diebstahl schob man zwei armen Sklaven in die Schuhe, die dafür geköpft wurden. Gier treibt die Mächtigen zum Exzess. Sie leben nur, um alles zu verzehren: Essen, Getränke, Männer, Frauen. Die Welt. Ihr Hunger lässt sich nicht stillen, die gierige, grausame Leere in ihrem Inneren nicht stopfen.
Ich denke an meinen Vater, wie er verbittert im Dunkeln lag. Manchmal ist es besser, kein König zu sein.
ACHTZEHN
Alys
S eit Tagen stehe ich unter Schock. Ich sitze im Zelt der Frauen wie eine große Wachspuppe, nehme meine Umgebung ebenso wenig wahr wie das ständige Schnattern, das Kommen und Gehen von Dienern, Kindern und Essen und wage kaum zu atmen. Mir war bewusst, wie furchteinflößend der Mann ist, dessen Kind ich austrage, doch jetzt habe ich seine wahre Natur gesehen und komme mir vor, als hätte ich in einen Abgrund geblickt. Die Hände, die mich liebkosten, haben Mord und Totschlag begangen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich immer noch die langen Hämmer heruntersausen, links und rechts, wie sie Schädel einschlagen, Rücken, Beine, Rippen zertrümmern, gnadenlos, ohne Sinn oder Verstand. Die elementare Grausamkeit, die unersättliche Mordlust des Mannes, der mich geschwängert hat, ist für mich zum Sinnbild des Todes geworden.
Am schlimmsten war, wie Nus-Nus bäuchlings auf der Erde lag und auf den todbringenden Schlag wartete. Welch unvorstellbare Panik muss einen Mann erfüllen, der so daliegt und auf den Tod wartet? Ich sah hinüber zu Zidana, ob sie dem Wüten ihres Mannes Einhalt gebieten, ob sich eine Naturkraft gegen eine andere durchsetzen könnte, doch ein einziger Blick genügte: Ihre Augen glänzten, ihre Hände zuckten, als hätte sie sich am liebsten selbst ins Getümmel gestürzt und ein paar Schädel zertrümmert.
Ich war so sicher, meinen Freund sterben zu sehen, dass ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, beinahe an seiner statt weggelaufen wäre. Doch dann sah ich, wie sich seine Hand regte. Er schöpfte das Blut des Mannes und schmierte es über seinen Kopf und den Nacken, ehe er wieder ganz still lag. Mein Blick flog dahin, wo der Sultan gerade ein weiteres Opfer abschlachtete. Er wandte uns den Rücken zu, aber dann kam er zurück und auf Nus-Nus zu. Noch immer war seine Mordgier nicht befriedigt, und ich konnte nicht glauben, dass ein so einfacher Trick tatsächlich funktionieren würde. Der Sultan blieb stehen und starrte auf das hinab, was offensichtlich sein Werk war. In diesem Moment schien ihn etwas zu verlassen, als wäre ein böser Geist aus ihm gefahren. Er ließ die Hämmer fallen, nahm den Großwesir am Arm und ging so leichthin plaudernd mit ihm davon, als unterhielten sie sich über das morgige Wetter.
Bis zu diesem Moment hatte ich keine Ahnung, zu welcher Ungeheuerlichkeit er in der Lage war. Und ich? Ich trage sein Kind in mir. Es ruht in meinem Leib und entwickelt sich von Minute zu Minute mehr zu einem winzigen Abbild seines Vaters. Ist das nicht eine grässliche Vorstellung? Ich habe mir so sehnlichst ein Kind gewünscht, dass ich mich lieber von meinem Glauben lossagte, als den Märtyrertod zu sterben, und so werde ich nun für meine Sünde bestraft. Ich versuchte zu beten, doch offenbar habe ich alle Gebete vergessen, die ich einmal kannte. Es heißt, ein Schock bewirkt seltsame Dinge im Verstand eines Menschen, doch das scheint der grausamste Schlag überhaupt zu sein.
Das Leben geht unerbittlich weiter, und insgeheim fange ich an, die Menschen, von denen meine Existenz nun abhängt, zu verteidigen. Ich rede mir ein, dass sich der Sultan im höchsten Maße provoziert, beleidigt und betrogen gefühlt haben muss. Dass die Härte der Strafe vermutlich nur die schändliche Natur des Verbrechens widerspiegelt, das man gegen ihn, seinen Namen oder seinen Status begangen hat, dass seine Reaktion in gewisser Weise gerechtfertigt war und durch ihre Unmittelbarkeit noch ehrlicher wurde. Eine persönliche Note …
Manchmal ertappe ich mich bei solchen Gedanken. Ich benutze Ausdrücke, die ich bei meiner Mutter hasste, wenn sie die Verschwendungssucht ihres Mannes rechtfertigte. »Er ist ein großzügiger Mann«, sagte sie, wenn er wieder einmal Schulden beim Wetten gemacht hatte, sodass wir nicht genügend Geld für den Haushalt hatten. »Er ist spontan. Er lässt sich vom Geist des Augenblicks
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