Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
rechtzeitig fertig werden, um an unserem Fest teilnehmen zu können.«
»Dieser spezielle Bruder von dir ist extrem merkwürdig«, bemerkte Kelly.
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Dominor von seiner Bank aus, während er sein Fahrzeug die gewundene Straße entlanglenkte. Als Kelly sich ein letztes Mal umdrehte, sah sie, dass die Lichtkugeln auf den Pfählen, die den Weg säumten, bereits zu erlöschen begannen.
Gut so. Wer weiß, wann dieser unbekannte Magier, der uns mit Makkadadaks und anderen Kreaturen heimsucht, beschließt, das nächste Mal zuzuschlagen – auch wenn wir alles neu gestrichen haben. Und es ist auch nicht ratsam, die Insel taghell zu erleuchten, das könnte den Verdacht zufällig vorbeikommender neugieriger Seeleute erregen.
»Warum lächelst du denn so zufrieden?«, fragte Saber einen Moment später, dabei betrachtete er sie im Schein der Lichtkugeln, die an der Kutsche befestigt waren.
»Bitte? Ach, ich habe nur endlich gelernt, das Wort ›Makkadadak‹ auszusprechen, das ist alles.« Tief befriedigt, dass sie sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden begann, schmiegte sich Kelly an ihn, legte den Kopf an seine Schulter und genoss die nächtliche Fahrt nach Hause.
14
N ach dem Essen und nachdem die anderen Brüder ihr einige Geschichten und Anekdoten über ihren frisch gebackenen Ehemann erzählt hatten, wurde der Tisch abgeräumt, und dann öffneten sie die Geschenke. Wie es aussah, herrschten in Katan teilweise dieselben Bräuche wie in ihrer alten Welt; die ersten Geschenke mussten zwischen Braut und Bräutigam ausgetauscht werden. Kelly war froh, dass sie ihre Idee in die Tat umgesetzt hatte. Als Saber das Kästchen öffnete, in das sie ihre Gaben verpackt hatte, wurden seine Augen groß. Behutsam nahm er die beiden wichtigsten Teile heraus.
Es waren ein rechteckiges Stück der feinsten weißen Seide, die sie hatte auftreiben können, und eine Papierrolle. Die Seide war bereits teilweise bestickt, allerdings erst in den Umrissen. Sie hatte mit seinen Augen, der Nase und den Brauen begonnen, mit feinen Stichen und Seidenfäden, die das Grau seiner Iris widerspiegelten. Saber entrollte das Stück Papier und breitete es auf dem Tisch aus, damit die anderen es ebenfalls sehen konnten.
Die anderen Männer raunten sich bewundernde Bemerkungen zu, während sie die perfekte Kohlezeichnung seines Kopfes und Oberkörpers betrachteten. Sein Haar floss von der Krone auf seinem Kopf zu seinen Schultern hinunter. Das Bild war einfarbig, weil sie es mit einem angebrannten Holzspan aus dem Küchenherd hatte anfertigen müssen, und sie hatte die Linien sorgsam mit den Fingerspitzen verwischt, um Tiefen- und Schatteneffekte zu erzeugen.
»Das ist ja unglaublich … du willst dieses Bild von mir
sticken?«, vergewisserte er sich mit einem Blick auf das Stickgarn in dem Kästchen.
»Sowie ich alle nötigen Farben in ausreichender Menge habe«, bekannte sie. »Das Sticken war schon immer mein größtes Talent. Es tut mir nur leid, dass ich gerade erst damit begonnen habe …«
»Nein, das braucht dir nicht leid zu tun«, versicherte er ihr, dabei blinzelte er ein wenig. Er wirkte sichtlich gerührt. Er rollte das Bild wieder zusammen und legte es zusammen mit der Seide in das Kästchen zurück – dasselbe, das er ihr mit Nähmaterial gefüllt gebracht hatte, als sie noch miteinander auf Kriegsfuß gestanden hatten. »Nur die besten Künstler durften die Angehörigen der Familie Corvis bislang porträtieren, und bisher nur mit Pinsel und Farbe.
Ich möchte, dass du gestickte Porträts von meiner gesamten Familie anfertigst, wenn du mit meinem fertig bist. Erst eines von uns beiden zusammen, dann welche von meinen Brüdern. Und deine Werke werden hier in dieser Halle aufgehängt.« Wieder zwinkerte Saber zweimal.
Dieses eine Mal begehrte Kelly nicht gegen seinen bestimmenden Ton auf; die Tränen, die er mühsam zurückhielt, waren ein Beweis dafür, wie tief bewegt er war. Saber erhob sich, um sein eigenes Geschenk von einem Tisch zu holen, der an eine Wand gerückt worden war, um die Gabenpakete darauf aufzubauen. Dominor, der links von ihr saß, beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr, solange sein ältester Bruder ihn nicht hören konnte.
»Saber sollte als dreißigster Graf von Corvis von dem berühmten Künstler Fenlor of Daubney persönlich gemalt werden, der auch den momentan amtierenden Rat der Magier auf Bildern festgehalten hat. Er hatte gerade die ersten Skizzen
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