Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
leicht, woraufhin er sich zu ihr drehte und sie böse anfunkelte. Sein Blick folgte ihrem gebieterisch ausgestreckten Finger, und er betrachtete das Rührei auf seinem Teller resigniert. Die Eier kamen von dem Hühnerhof in einem der Gärten. Sie waren neben den
Hühnern, die sie lieferten, ihre zweite eigene Lebensmittelquelle. Kelly grinste in sich hinein. Wenn er meinte, sie zum Essen zwingen zu können, wenn er es für nötig hielt, verschaffte es ihr eine tiefe innere Befriedigung, den Spieß einmal umzudrehen.
Seufzend beugte sich Saber vor, griff nach seiner Gabel und widmete sich dem Rest seines halb vergessenen Frühstücks. Über seine Schulter hinweg erhaschte Kelly einen Blick auf den ovalen Spiegel in Morganens Händen. Er saß auf Wolfers üblichem Stuhl, sodass die Frischvermählten auf ihrer gemeinsamen Sitzbank sitzen und trotzdem die Vorgänge im Spiegel verfolgen konnten. Die allmählich interessant zu werden begannen. Das Schiff hatte die große Bucht inzwischen erreicht, die Segel eingeholt und dümpelte nun sacht auf den Wellen.
»Sie werfen den Anker«, murmelte Morganen einen Moment später.
»Das ist ein ausgesprochen merkwürdiges Schiff«, stellte Trevan fest. Er kniff die Augen zusammen und spähte über Wolfers Schulter, der mit ihm zu einer Seite ihres jüngsten Bruders stand. »Bei Kata! An dem Bug ist eine nackte Frau festgekettet! Aber das … das kann doch nicht sein! Ich kann Leute in der Takelage erkennen, aber die wirken im Vergleich mit der Frau winzig. Sie ist eine Riesin!«
»Lasst mich mal sehen.« Kelly versuchte, sich hinter Sabers breitem Rücken vorzubeugen, dann bedeutete sie ihm mit einem Rippenstoß, seinen Teller zu nehmen und sich zurückzulehnen, sodass sie sich über seinen Schoß beugen konnte, während er aß. Das Schiff ähnelte von der Form des Rumpfes her einer spanischen Brigg, die Segel jedoch erinnerten eher an jene, die man bei chinesischen Dschunken fand. Ihr Blick wanderte zum Bug und der daran befestigten nackten Frau, und sie prustete vor Lachen. »Das ist eine Galionsfigur, sonst nichts.«
»Eine was?« Morganen tippte auf die Oberfläche des
Spiegels, der in diesem Moment kein Spiegel war, und vergrößerte so diesen Teil des unbekannten Schiffes.
»Ein spezielles Schnitzwerk. Solche Figuren werden unter den Rammböcken angebracht, teils, um sie zu verstärken, teils als Verzierung und teils – zumindest in der Vergangenheit meiner Welt – als eine Art geistiges Auge. Es soll die Geister symbolisieren, die dem Schiff und der Besatzung freundlich gesonnen sind und sie vor bösen Mächten schützen.
Bei uns gibt es keine wirkliche Magie wie bei euch, dafür aber reichlich Aberglauben.« Sie betrachtete das Schiff eine Weile, ehe sie ihre Erläuterungen fortsetzte. »Dieses Schiff kommt mir vor wie ein Mischmasch verschiedener Stilrichtungen der Schiffsbaukunst vor einigen Jahrhunderten, es entspricht keinem genau zu bestimmenden Stil meiner Welt.«
»Wir versehen den Bug unserer Schiffe mit magischen Amuletten, die sie davor bewahren, auf Riffen und Sandbänken aufzulaufen«, erklärte Saber, beugte sich über sie, stellte seinen leeren Teller auf den Tisch zurück, nippte an seinem Saft und betrachtete das Bild über Kellys zerzaustes Haar hinweg. »Kennst du dich mit den verschiedenen Teilen dieses Schiffes aus?«
»Mehr oder weniger«, bestätigte sie.
»Weißt du, wozu diese kleinen hölzernen Vierecke gedacht sind?« Er deutete auf eine Reihe von Holzläden unterhalb der Reling des Hauptdecks, aber über den runden verglasten Bullaugen. »Ihre Bullaugen sehen genauso aus wie die unserer Schiffe, aber diese Fenster mit Fensterläden … das ergibt doch keinen Sinn. Das Schiff würde sinken.«
»Das sind keine Fenster«, widersprach Kelly. »Ich glaube … ja, ich fürchte, das sind Geschützpforten.«
»Was für Pforten?«, fragte Dominor, der hinter Morganen stand.
»Geschützpforten. Für Kanonen, um genau zu sein. In unserer Welt sind Waffen entwickelt worden, die mittels einer explosiven Kombination entzündlicher Pulver Kugeln durch einen engen metallenen Lauf auf ein Ziel abschießen. Kanonen sind große, schwere, gefährliche frühe Ausführungen dieser Waffen. Sie feuern Bleikugeln ab, die so groß sind wie eine Hand und manchmal auch so groß wie ein Kopf. Sie fliegen für gewöhnlich so schnell, dass du sie erst siehst, kurz bevor du getroffen wirst … und zu schnell, als dass du ihnen noch ausweichen könntest, falls
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