Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
sich ein drittes Mal, diesmal in seine größte Adlergestalt. Er watschelte zu dem Bündel hinüber, schloss vorsichtig die Klauen darum, breitete die Flügel aus und schlug ein paarmal damit. Dann hob er von der inneren Brustwehr ab, flog mit seiner Last einige Male um den Palast herum, bis er genug Höhe gewonnen hatte, und schwebte dann gen Süden davon, damit die Männer am Fuß der illusionären Klippe ihn nicht sehen konnten.
Er drehte Richtung Osten ab und glitt über die Baumkronen hinweg, bis er den Rand des Waldes vor dem Strand erreichte, verschwand unter dem grünen Baldachin und landete auf einem breiten, dicken Ast, ehe er wieder seine normale Gestalt annahm, wobei das Bündel beinahe zu Boden gefallen wäre. Mit einem unterdrückten Fluch packte er es, dann setzte er sich breitbeinig auf den Ast, lauschte und spähte zum Waldboden hinunter.
Als der Ast, auf dem er saß, zu vibrieren aufhörte, kam ein Seemann in Sicht. Völlig unbesorgt blickte er sich nur flüchtig um, ehe er sein Hemd hob, seine Hose öffnete und sich erleichterte, wobei er sich an dem Baum abstützte. Trevan wartete, bis er fertig war, dabei wandte er den Kopf von dem wenig ansprechenden Anblick ab. Er vermochte sich zwar in eine Vielzahl von Tieren zu verwandeln,
aber er war so zimperlich und empfindlich wie eine Katze.
Außerdem war er vermutlich der reinlichste der Brüder, von Dominor einmal abgesehen, der allerdings wesentlich kostspieligere Kleider bevorzugte, wozu der Jüngere wiederum keinen Grund sah. Auf der Insel gab es schließlich keine Frauen, die es zu beeindrucken galt.
Trevan glitt lautlos an dem Baumstamm hinunter, kroch durch das Unterholz, bis er zum Waldrand gelangte, wo das Buschwerk dank des Einfalls des Sonnenlichts besonders dicht war. Die beleidigende rotweiße Fahne war immer noch da, stak vor den auf den Strand gezogenen Booten im Sand. Jetzt herrschte volle Ebbe, und einige Seeleute klaubten emsig Muscheln auf. Ihr lächerlich gekleideter Anführer saß im mittleren Boot, kehrte dem Ufer den Rücken zu, trank aus einem im Sonnenlicht glitzernden Glaskelch und aß von einer auf seinem Schoß ausgebreiteten schneeweißen Leinenserviette, ohne seiner Umgebung die geringste Beachtung zu schenken.
Trevan löste sich aus dem Gebüsch und schritt über den Sand. Niemand nahm von ihm Notiz, aber in seiner schlichten gelbbraunen Tunika und den etwas dunkleren Hosen unterschied er sich auch kaum von den anderen Männern. Falls einer der Seeleute in seine Richtung blickte, würde er ihn aus dieser Entfernung vermutlich für ein Mitglied ihrer Gruppe halten.
Bei der Fahne blieb er stehen, zog den Holzstab aus dem Sand und lehnte das unerwünschte Gebilde gegen seine Brust, dann entrollte er das Nightfall-Banner, stieß den Pfahl in das Loch, das der andere hinterlassen hatte, und befestigte das Querstück, dann rollte er die fremde Fahne rasch auf. Während sich die Farben der Fahne von Nightfall von Blau zu Blassgrün, über Gelbschattierungen, Goldund Pinktöne schließlich um die Umrisse der Berge und Wälder, der beiden Halbmonde und des achtzackigen Sternes
herum zu einem tiefen Violett verdunkelten, steuerte er auf das mittlere der drei Boote zu.
Lord Aragol – ein anderer konnte es nicht sein, nicht in dieser protzigen Aufmachung – fuhr fort, seinen Käse und sein Brot zu verzehren und an seinem Wein zu nippen. Er schien Trevans Gegenwart nicht zu bemerken, auch dann nicht, als der rotblonde Magier an die Seite des Bootes und in sein Blickfeld trat. Seufzend schüttelte Trevan die Fahne mit der roten Faust, den roten Rändern und dem weißen Hintergrund aus und ließ sie vor den Augen des Mannes im Wind flattern. Dieser verschluckte sich an seinem Brot.
»Bei den Rechten der Männer! Was tust du damit, du hirnloser Dummkopf!«, herrschte er ihn in seiner Sprache an. Trevans Ohren begannen zu kribbeln, als der Vielsprachenzauber ihm die Worte übersetzte. Der geckenhafte Mann funkelte ihn aus haselnussbraunen Augen böse an, dann runzelte er die Stirn. Offenbar versuchte er sich zu erinnern, ob er Trevan schon irgendwann einmal gesehen hatte.
Trevan ließ die Fahne in das Boot fallen. »Ihr habt Eure Fahne am Strand zurückgelassen.«
»Natürlich habe ich das!«, schnarrte der etwas ältere Mann, dabei spähte er zu der Stelle hinüber, wo die Fahne noch vor einem Moment im Sand gesteckt hatte. »Ich habe damit diese Insel im Namen des Königs in Besitz genommen. Wo kommt dieses Gebilde denn
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