Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
zweifelte nicht daran, dass all dies zusammengenommen einen durchaus beeindruckenden Anblick bot. Ein bedrohlicher wäre ihm allerdings lieber gewesen.
Die neun Fremden schritten durch das Tor, blieben direkt dahinter stehen und blickten erst Dominor an, dann sahen sie sich um, betrachteten die altersverwitterten, aber immer noch kunstvoll gemeißelten Verzierungen des Donjons,
das Dutzend Soldaten im Hof und die Männer und Frauen hinter den Fenstern. Die sechs Seeleute trugen drei Truhen zwischen sich und Rucksäcke auf dem Rücken. Die drei aufgeputzten Gecken musterten Dominor von Kopf bis Fuß.
»Ihr seid der Schatzkanzler?«, fragte Lord Aragol. Unüberhörbare Herablassung schwang in seiner Stimme mit, und seine Brauen hoben sich unter dem lächerlichen breitkrempigen Hut abfällig, nachdem sein Blick über Dominors schlichte dunkelblaue Hose, die saphirfarbene Tunika und das hellblaue Hemd gewandert war, das das Blau seiner Augen unterstrich. Er wirkte nicht sonderlich beeindruckt.
Das war Dominor seinerseits auch nicht. Der Fremde trug ähnliche Kleider wie am Tag zuvor, diesmal zwar nicht in Pastellfarben, aber immer noch in zu vielen Schichten. Die gebauschten Hosen aller drei Männer wiesen überdies alle vorne identische Ausbeulungen vor, die unmöglich natürliche Ursachen haben konnten und Dominors Ansicht nach nur obszön wirkten. Aber er musste seine Rolle spielen, daher bemühte er sich, die unmögliche Aufmachung der drei zu übersehen und neigte knapp den Kopf.
»Ich bin Lord Dominor, Schatzkanzler des Reiches Nightfall und treuer Diener Ihrer Majestät. Mir wurde mitgeteilt, dass man Euch über die wichtigsten Gesetze dieses Landes sowie über die Strafen, die eine Übertretung dieser Gesetze nach sich zieht, unterrichtet hat. Trifft das zu?«, fragte er. Er hoffte, den Eindruck zu erwecken, dass hier Recht und Ordnung herrschten, und diese Leute, die ihnen zahlenmäßig weit überlegen waren, durch die Androhung von strengen Strafen einzuschüchtern, damit sie sich angemessen betrugen und es nicht zu ernsthaften Auseinandersetzungen kommen ließen.
»Das ist richtig«, erwiderte der Älteste des Trios. »Ich
bin Lord Kemblin Aragol. Dies ist mein ältester Sohn Sir Kennal Aragol und dies mein zweitgeborener Sohn Sir Eduor Aragol. Und jetzt bringt uns zu Eurer Königin.«
Dominors Brauen schossen in die Höhe. Was bildet sich dieser arrogante Bastard eigentlich ein? Wie kommt er dazu, mich in meinem eigenen Heim herumzukommandieren?
»Wenn Ihr so freundlich wärt«, fügte der Graf mit einem aufgesetzten Lächeln hinzu.
»Hier entlang, Lord Aragol. Aber achtet darauf, was Ihr sagt und tut, solange Ihr auf Nightfall seid.« Als er sich umdrehte, schwenkte Dominor unauffällig eine Hand. Das Osttor schwang hinter ihnen geräuschlos zu, und die Balken schoben sich von selbst vor. Die drei übertrieben gekleideten Männer stutzten. Sie schienen über keine oder nur wenig Magie zu verfügen, wenn sie schon ein so einfacher Zauber in Erstaunen versetzte.
»Ist es nötig, uns einzusperren, Schatzkanzler?«, fragte der jüngste der Männer vorwurfsvoll.
»Das liegt nicht in meiner Absicht. Wenn Ihr den Palast verlassen wollt, braucht Ihr es nur zu sagen. Wir legen Wert auf unsere Privatsphäre, das ist alles. Das Tor wird geschlossen, damit niemand unaufgefordert hier eindringen kann.«
Lord Aragol schob seinen Hut in den Nacken und blickte zu der gewölbten Decke der großen Halle auf, die jetzt über den Flügeln des Gebäudes vor ihnen zu sehen war. »Wir haben Euren Palast vom Hafen aus gar nicht gesehen.«
»Das solltet Ihr auch nicht.«
»Wie groß ist Euer Land, Schatzkanzler?«
»Groß genug … obwohl es in der letzten Zeit etwas überbevölkert ist«, gab Dominor zurück. Seine Schwägerin schien recht zu behalten: Dieser Mann war gekommen, um das Reich seines Königs zu vergrößern.
»Überbevölkert?«, höhnte der ältere Sohn. »Wo sind denn Eure Städte? Und Eure Häfen?«
»Ihr seid in einen davon eingelaufen – den Fischerhafen Whitetide«, fügte Dominor in sich hineinlächelnd hinzu. »Wie ich hörte, hättet Ihr beinahe ein sampa -Netz mit Eurem Ruder zerrissen, als Ihr zwischen zwei Fischerbooten hindurchgefahren seid.«
»Wir haben keine Boote gesehen«, versetzte einer der Seeleute scharf, als ein »Wachposten« die Tür des Westflügels öffnete.
»Ihr solltet sie auch nicht sehen. Wir sind gern für uns.«
»Auf ein Wort, Schatzkanzler! Es geht um die
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