Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
beschäftigt ist«, wies sie ihn an.
Er streckte eine Hand aus und schnarrte einen Befehl, woraufhin die Waffe auf den Spiegel zuschwebte, in ihm verschwand, als Morganen seine zitternde Hand zurückzog, und geräuschlos auf der Theke landete, wo sie eine Sekunde später von dem Verkäufer bemerkt wurde. Normalerweise übermittelte ein Seherspiegel keine Geräusche, wenn er nicht mit einem speziellen Zauber belegt worden war, aber da dieser eine Pforte zwischen zwei Welten darstellte, konnten sie den gedämpften, überraschten Ausruf des Mannes hören, der sich erst über das plötzliche Auftauchen der Waffe wunderte, dann darüber, dass es sich um die auf mysteriöse Weise verschwundene Automatik handelte und dass mit ihr geschossen worden war.
Morganen wischte sich ein paar Schweißtropfen, die sein Stirnband nicht aufgefangen hatte, von den Nasenflügeln. »In deiner Welt ist es überaus schwierig, Magie auszuüben. Ich bin nur froh, dass ich hier bin und nicht dort, sonst wäre es nahezu unmöglich. Hier kann ich auf
verschiedene Methoden zurückgreifen, um meine Macht zu stärken. Auf der anderen Seite komme ich mir vor, als müsste ich … wie hast du es gestern Abend genannt … diese graue, steinähnliche Substanz durchdringen, aus der dein Volk viele Dinge baut?«
»Beton«, erwiderte Kelly.
»Genau. Be-tong .« Kopfschüttelnd lehnte er sich ebenfalls gegen den Tisch. Nachdem er beobachtet hatte, wie der Verkäufer ein paar Tasten eines »Telefon« genannten Gerätes gedrückt hatte – einer Audiokommunikationseinrichtung, die einem Geräusche übertragenden Seherspiegel glich – musterte er Kelly nachdenklich. »Gibt es einen Ort oder eine Person, die du noch sehen möchtest, ehe ich die Verbindung unterbreche?«
Kelly machte Anstalten, den Kopf zu schütteln, dann änderte sie ihre Meinung. »Ja, schon. Du hast mir zwar gezeigt, was von meinem Haus übrig geblieben ist, aber wir sind dabei auf niemanden gestoßen, der mich tatsächlich gekannt hat.« An die verkohlten Holzbalken und die verbogenen Metallteile, die das Inferno überstanden hatten, wollte sie gar nicht denken. »Hope. Ich würde gern meine Freundin Hope sehen.«
Morganen zuckte bei diesem Namen spürbar zusammen, weshalb sie hastig zu einer Erklärung ansetzte, damit er nicht auf den Gedanken kam, es lohne die Mühe nicht, nach Hope zu suchen. »Sie war meine beste Freundin – wir gehörten beide einem Verein an, der sich ›Freunde des Mittelalters‹ nannte. Alle meine früheren Freunde dort, wo ich ursprünglich herkomme, haben mich längst vergessen, und meine entfernten Verwandten und ich stehen uns nicht sehr nah. Ich hätte in den letzten Wochen drei Treffen des Vereins besuchen sollen; Treffen, zu denen Hope gleichfalls erschienen wäre – ich möchte mich davon überzeugen, dass es ihr gut geht.«
»Du wirst mich leiten müssen«, meinte er, trat von seinem
Arbeitstisch zurück, ging zu dem Spiegel und streute ein anderes Pulver darüber. Das Geräusch erstarb, nicht aber die Sicht.
»Weißt du noch, wie du von der Waffenhandlung auf die Hauptstraße zurückkommst?« Kelly blieb auf dem Stuhl sitzen und spähte über seine Schulter in den Spiegel. Die Blutübertragung hatte sie stärker geschwächt, als sie erwartet hatte.
»Ja – hier entlang?«
»Nein, du musst nach links abbiegen, nicht nach rechts. Rechts liegt das Rathaus – siehst du, dort ist es. Halte dich Richtung Norden – die Richtung, in die du zeigst – und bieg erst zwei Querstraßen weiter von dieser Straße ab.«
Es erschien ihr seltsam, ihn mittels eines mannshohen, holzgerahmten, kristallklaren Videos – so kam es ihr jedenfalls vor – durch die Stadt zu lotsen. Er konnte jetzt nur noch die Oberfläche des Spiegels berühren, nicht aber die Hand hindurchstrecken. Kelly schätzte die Tageszeit ab, registrierte, dass kaum Verkehr auf den Straßen herrschte; dann rechnete sie nach, wie viele Tage verstrichen sein mussten, und folgerte daraus, welches Datum man auf der anderen Seite des Glases schrieb.
»Halt dich weiter Richtung Norden«, instruierte sie Morganen, als er sich anschickte, sich nach links zu wenden. »Mir ist gerade eingefallen, wo Hope sein muss … auf dem mittelalterlichen Jahrmarkt, wenn ich recht habe und heute Samstag ist.«
»Sag mir nur, was ich tun muss«, stimmte er freundlich zu, dabei korrigierte er seine Richtung. »Ich bin ein treuer Diener meiner Königin.«
Sie rümpfte die Nase. »Wir haben keine Besucher
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