Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
beobachtet, ein paar Persönlichkeitsstudien betrieben und dabei festgestellt, dass Dominor nicht nur extrem von sich eingenommen war, sondern auch stets versuchte, seine Brüder in allem zu übertreffen.
Auch jetzt schoss er den Vogel ab, als er die Hände in dem Wäschesack versenkte, sie mit gegeneinandergelegten Daumen und Zeigefingern wieder zum Vorschein brachte und mit nichts als leerer Luft dazwischen in die Höhe hielt. »Dein Hemd ist ja schon übel zerschlissen, Wolfer«, erklärte er feixend, »aber ich möchte doch gerne einmal sehen, wie es dieser Frau gelingen soll, meine Untertunika auszubessern. Sogar in den Löchern prangen Löcher!«
Während die anderen fünf dem arroganten Magier böse Blicke zuwarfen, dabei ein Grinsen aber nicht unterdrücken konnten, warf Kelly ein Kissen nach ihm. »Dann werde ich eben deine Haut zusammenflicken müssen, du Erzhalunke! Komm her, ich habe hier eine schöne stumpfe Nadel für dich!«
Der Kleiderhaufen, der sich auf dem Boden türmte, reichte Kelly bis zur Schulter. Sie beschwerte sich wortreich darüber, dass ihr nicht genug Nadeln, Garn und Ähnliches zur Verfügung stand, woraufhin die Sechs die Treppe hinuntermarschierten, dabei nebenbei Stufen und Geländer polierten und gutmütig versprachen, als Nächstes das Nähzimmer in Angriff zu nehmen.
Und genau das taten sie tags darauf unter Kellys Oberaufsicht auch. Sie hatte genau aufgelistet, wie sie den länglichen Raum und die restlichen Kammern in diesem Stockwerk des Burgflügels umgestaltet haben wollte, und jeder Bruder übernahm die Aufgaben, die ihm am meisten lagen. Koranen fegte jeden Kamin aus, überzeugte sich davon, dass die Lichtkugeln noch funktionsfähig waren und schmirgelte ihre Halterungen ab, bis sie dunkel schimmerten. Trevan behandelte alle Holzmöbel mit Wachs, Wolfer nahm sämtliche Vorhänge und Wandbehänge ab, wusch sie mit Dominors Hilfe und hängte sie wieder auf, darüber hinaus ersetzte er die brüchig gewordenen Lederbezüge einiger Sessel und Stühle.
Dominor putzte die Fenster, erneuerte die zersplitterten und fehlenden Läden, entfernte die schmierigen Schmutzschichten von den Ölgemälden und klopfte die Kissen aus. Evanor schrubbte fröhlich Böden und Wände, nahm sich dann mithilfe eines freischwebenden Mopps die Decken vor und summte dabei unaufhörlich vor sich hin. Morganen übernahm das Streichen der Wände. Er arbeitete schneller und sorgfältiger als die anderen und schien über einen nicht enden wollenden Vorrat an weißer Tünche
und Gips zu verfügen, mit dem er die Risse im Putz ausbesserte.
Und in jedem Raum, den sie gerade wieder herrichteten, setzten sie Kelly in einen bequemen Sessel, sowie sie ein Stück Boden gesäubert hatten, stellten einen mit Nähutensilien und Essen beladenen Tisch neben ihr auf und häuften auf die andere Seite Berge zum Flicken bestimmter Kleider. Wenigstens ein Kleidungsstück lag immer auf ihrem Schoß, und zwischen den Fingern hielt sie eine von Evanor mit einem Zauberspruch besungene Nadel, die für jeden ihrer langen Stiche vier kleine, zierliche ausführte. Aber die Brüder gestatteten ihr nicht, sich von ihrem Platz zu erheben, es sei denn sie musste einen Abtritt aufsuchen. So tat sie nichts als essen, sich ausruhen und gemäß ihrer Regel Nummer Drei für Kost und Logis zu bezahlen, während die Männer alle schweren Arbeiten übernahmen.
Sie gaben sich auch größte Mühe, in ihrer Gegenwart auf ihre Sprache zu achten, waren aber entzückt, wenn auch ein wenig verunsichert, als sie ihnen ihre gutmütigen Neckereien und Witze mit gleicher Münze heimzahlte. Und obgleich sie sich aus einem Stück Stoff, das sich in einer der Kammern gefunden hatte, einen Rock und eine lange Bluse genäht hatte, die sie darüber tragen konnte, gewöhnten sie sich daran, dass sie, wann immer es möglich war, lieber die Hose trug, die sie sich gleichfalls angefertigt hatte. Mit jedem von Grund auf gesäuberten Raum hob sich die Stimmung in der Burg, und die Brüder verdoppelten ihre Anstrengungen.
Evanor sang während der Arbeit unaufhörlich, da er behauptete, seine Magie basiere hauptsächlich auf Resonanz; seine klare, reine Tenorstimme hallte durch die Kammern und Gänge. Die anderen Brüder trugen untereinander Wettbewerbe aus, um zu ermitteln, wer von ihnen am schnellsten und gründlichsten putzen konnte. Dominor rief dazu
auf, all ihre Kreativität einzusetzen, um die düsteren, altmodisch eingerichteten Räume heller und
Weitere Kostenlose Bücher