Die Söhne der Wölfin
Freund, so wie mich«, erwiderte er und beobachtete, wie sich Remus’ Stirn erst entwölkte und dann wieder verfinsterte. Der Junge warf ihm einen hastigen Blick zu und schaute zu Boden. In Ulsna kroch eine ungute Ahnung hoch. Miststück, dachte er und meinte nicht Remus.
»Du und sie... ihr habt doch nie...« »Wie ich mich erinnere«, unterbrach Ulsna ihn, und spürte, wie ihm der Geduldsfaden riß, »hast du vor einigen Wochen Zweifel daran geäußert, daß überhaupt jemand den Wunsch haben könnte, mich zu küssen, geschweige denn, etwas anderes zu tun. Solltest du weitere Versicherungen über meinen Lebenswandel oder den deiner Mutter hören wollen, bitte, nur zu, ich werde sie ableisten. Nur nicht über den der edlen Prokne, ganz besonders nicht in Zusammenhang mit deiner Mutter.«
»Was?« rief der Junge und wurde weiß wie der Marmor, den die Priester des Apollon so gern in ihren Tempeln verwendeten. Ulsna entschied sich für das kleinere Übel. Er war immer noch ärgerlich auf Remus, aber noch ärgerlicher auf Prokne, und der Junge würde es ohnehin irgendwann erfahren.
»Wer, glaubst du denn, bezahlt sie für die Zeit, die sie dir schenkt, du Kindskopf?«
Er sah Remus ausholen, doch er vergaß, daß der Junge sich für einen Mann hielt und Männer mit den Fäusten zuschlugen, nicht mit der offenen Handfläche. Der Schlag war hart genug, um seine Unterlippe und einen Teil seiner Mundhöhle aufplatzen zu lassen. Remus rieb sich unbewußt mit seiner anderen Hand die Knöchel und starrte ihn an. Zum ersten Mal stand in seinen Augen die Kälte, die Ulsna bisher nur in den Blicken seiner Mutter und ihres Onkels gesehen hatte.
»Das wollte ich tun, seit du meinem Vater das Messer an die Kehle gesetzt hast, in seinem eigenen Haus«, sagte Remus hart, drehte sich um und verschwand.
Für Prokne gehörte es nicht zu den angenehmen Dingen des Lebens, aus einem Gespräch mit ihrem derzeitigen Gönner durch die Ankunft eines zornigen jungen Mannes gerissen zu werden, doch es war ihr auch nicht völlig neu. Solche Situationen verstand sie durchaus zu meistern. Der Türwächter brachte Remus ihren Anweisungen gemäß in ihr Schlafgemach, ohne daß der Gast von der Störung etwas mitbekam. Sie brauchte nicht mehr lange, um ihn mit einem Lächeln auf den Lippen und der Verheißung auf den morgigen Abend fortzuschicken.
Daß es Remus war, der hier auftauchte, und nicht Ilian, überraschte sie ein wenig, aber noch verblüffter war sie, als der Junge sie, kaum daß sie ihn zu sich bitten ließ, mit eisiger Stimme fragte:
»Bezahlt meine Mutter dich dafür, daß du mit mir schläfst?«
Daß Ilian so schnell damit herausrücken würde, damit hatte Prokne nicht gerechnet. Eigentlich war sie davon ausgegangen, daß ihr Remus noch bis zum Tag seiner Abreise die Zeit verkürzen würde. Wie dem auch sein mochte, sie sah keinen Grund, Remus in diesem Punkt zu belügen.
»Nun, sie hat mir ein paar wirklich schöne Geschmeidestücke aus Ägypten zukommen lassen und einen Anteil an der letzten Ladung der Andromeda . Aber laß mich dir versichern, wenn du nicht so ein reizender Junge wärst, hätten alle Geschenke der Welt nicht genügt, um mich dazu zu bewegen, dich als Freund anzunehmen. Schließlich bin ich eine Hetäre, keine Hure. Wir erwählen die, welche uns gefallen«, endete sie versöhnlich.
»Dann war alles nur gespielt? Ich dachte... ich dachte, du liebst mich!«
»Ich habe dich wirklich sehr gern.«
»Gern!« wiederholte er bitter. Unerwartet stieg Mitleid in ihr auf.
»Wie könnte dich jemand nicht gern haben, du großes Kind?« sagte sie kopfschüttelnd und tätschelte ihm den Arm. Er stieß ihre Hand fort.
»Sprich nicht so, als wärst du meine Mutter!« gab er mit tränenerstickter Stimme zurück.
Einmal mehr spürte Prokne das Gewicht der Jahre, sah die immer breiter werdende Kluft, die sich zwischen ihr und den Männern auftat, und sie verwünschte Ilian, den Jungen und sich selbst deswegen. So sagte sie etwas, von dem sie geglaubt hatte, es nie laut zu äußern.
»Remus, deine Mutter könnte meine Tochter sein. Hast du dich überhaupt je gefragt, wie alt ich bin? Nein? Wenn du das nächste Mal von Liebe sprichst, mein Kleiner, dann frage dich, ob sie einem die Teller füllt, und sei dankbar für das, was der Tag dir bietet, bevor es Abend wird, statt dich darüber zu beschweren, daß es nicht hält.«
Kein Begreifen stand in seinen verwirrten, wütenden Zügen geschrieben. Natürlich nicht. Er
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