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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Augen. Es dauerte lange, bis sie von seinen Ohren in sein Herz drangen. Dorion schloß triumphierend, ihre Geduld sei am Ende, sie werde nunmehr, sich berufend auf die Kränkung, die er ihr früher angetan, die Scheidung mit prozessualen Mitteln betreiben.
      Josef hörte auch das. Er sah Dorion, und er begriff. Er erwiderte nichts. Er neigte sich, verabschiedete sich, ging. Sie nahm befriedigt wahr, daß er ein wenig schwankend ging, nicht ganz so aufrecht wie sonst, ähnlich wie ihr Vater gegangen war, als sie ihn zum letztenmal gesehen.

    Josef fragte den Marull um Rat. Zwar konnte er sich der Überzeugung nicht mehr verschließen, daß Dorion ihm ein, für allemal verloren sei. Aber es wollte ihm nicht in den Kopf, daß er mit ihr auch seinen Sohn Paulus preisgeben sollte. Das jüdische Recht gab alle Macht dem Manne. Josef fand es widersinnig, daß ein Vater den Sohn, den er zu seinem Rang emporheben wollte, aus formalen Gründen im niedrigeren Stande belassen mußte. »Die Weltherrschaft Roms«, ereiferte er sich, »basiert auf seinem gesunden Menschenverstand. Was diese Frau mir antun will, verstößt offenbar gegen die Vernunft, gegen den Sinn des Rechts. Wird ein römisches Gericht mich zwingen, es hinzunehmen?«
      Der Senator Marull beschaute durch seinen blickschärfenden Smaragd den erregten, vergrämten Mann. Marulls Zähne wurden immer wackeliger, die Ärzte konnten ihm nicht helfen, die Schmerzen verstärkten seine Skepsis gegen die Menschen und ihre Institutionen. »Es wundert mich«, erwiderte er dem Josef, »daß ein so kluger Mann über das Wesen des Rechts so ungenügend nachgedacht hat. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind Versuche, die jeweils entstandenen politischen und ökonomischen Verhältnisse nachträglich ideell zu rechtfertigen und zu ordnen. Da nun diese Verhältnisse beweglich und immer im Fluß sind, Recht und Gesetz aber starr und sehr langsam, kann eine absolute Kongruenz des Rechtes mit der Wirklichkeit und ihren Forderungen nie erreicht werden. Der kluge Richter, beziehungsweise der kluge Anwalt, ist also dazu da, den Mann, der es verdient, gegen das Recht zu schützen.« Nach dieser allgemeinen Belehrung ging er auf den konkreten Fall ein. »Hat die Dame Dorion Ihnen ein ansehnliches Heiratsgut mit in die Ehe gebracht?« fragte er. »Nicht daß ich wüßte«, entgegnete ein wenig bitter Josef. »Ihr Vater war nicht geizig, aber er hat mich nicht geliebt. Außer ihren Kleidern, ein paar Nippsachen und einer mir übrigens recht mißfälligen Katze hat Dorion nichts in die Ehe gebracht. Und diese Katze ist inzwischen verreckt.« – »Die Dame Dorion«, meinte Marull, »wird trotzdem die allenfalls noch vorhandenen Fetzen dieser Kleider mit Erbitterung verlangen, und wir werden sie mit Zähnen und Klauen verteidigen müssen. Erst dann nämlich, wenn sie auf dem Weg der Zivilklage die Rückerstattung ihrer Mitgift erreicht hat, kann sie bewirken, daß der Sittengerichtshof gegen Sie vorgeht und der Zensor Ihnen allenfalls die Würdigkeit für den Zweiten Adel aberkennt. In diesem Fall natürlich«, und er klopfte leise mit seinem eleganten Bettelstab den Boden, »könnten Sie unter keinen Umständen mehr in familienrechtliche Beziehungen zu Ihrem Sohn treten. Aber die Dame Dorion ist noch nicht am Ziel«, schloß er tröstend. »Die Gesetze über die Scheidung sind erfreulich kompliziert. Wir können den Prozeß endlos hinausziehen, zwei Jahre, drei Jahre.«
      Josef starrte erbittert vor sich hin; es war merkwürdig, wie finster seine gebuckelte Stirn wirken konnte. Marull seinesteils war an dem Fall weniger juristisch als psychologisch interessiert. Es nahm ihn wunder, daß die Dame Dorion selbst ein so großes Ziel wie die Zugehörigkeit zum Zweiten Adel des Opfers der Vorhaut nicht wert fand. Er sah hinter ihrem Widerstand seine alten Feinde, die traditionsgläubigen Esel aus dem Senat. Sicher waren sie es, die Dorion in ihrer Unvernunft bestärkten. So wurde aus dem Streit um den Sohn des Juden Josef ein repräsentativer Kampf zwischen den starren Adeligen des alten Rom und den Liberalen, die das Weltreich mit wirklichem Kosmopolitismus füllen wollten. Wer siegen werde, war schwer vorauszusagen. Die Rollen waren sonderbar verteilt. Denn vermutlich wird diesmal, infolge des Sturzes der Berenike, die liberale Dynastie, der liberale Monarch auf Seiten der konservativen Verfechter der republikanisch-nationalistischen Tradition stehen. Wenn er, Marull, das Mandat des Josef

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