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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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lehren. Was man lehren kann, was ein Kind im Hause von Vater und Mutter erlernt, das sind Sitten und Unsitten, Gradheit und Krummheit. Und der Beklagte, ein großer Schriftsteller vielleicht, ist ein krummer, lasterhafter Mensch. Es ist der Klägerin bisher fast wie durch ein Wunder geglückt, ihren Sohn rein und römisch zu wahren. Helfen Sie ihr, Richter und Geschworene, daß ihr das weiter gelinge. Sprechen Sie ihr zu, worum sie klagt, die Rückerstattung ihrer Mitgift, auf daß sie ihren Sohn von diesem Manne trennen kann und ihn großziehen zu einem guten Römer.«
      Die Redezeit für die Anwälte war kurz befristet, die Wasseruhr des Helvid war abgelaufen, ehe er mit seinem Plädoyer zu Ende war. Doch man hörte ihm mit leidenschaftlichem Interesse zu, und als nach abgelaufener Uhr der Richter an die Geschworenen die erlaubte, aber selten gestellte Frage richtete: »Wollen Sie den Anwalt weiter hören?«, da riefen alle wie aus einem Mund: »Er soll weitersprechen, Helvid soll weitersprechen.«
      Dann, nach der kurzen Mittagspause, trat Marull auf. Man wußte zwar in Rom, daß Vespasian sich mit Josef ein paar derbe Witze geleistet hatte, aber genauer informiert über die Vorgeschichte seiner ersten Ehe war man nicht, und daß Josef oder gar Marull es wagen würden, die Person des verstorbenen Kaisers in ihre bedenkliche Sache hineinzuziehen, hielten die Freunde und Berater der Dorion für ausgeschlossen. Allein Marull wagte es. In letzter Zeit behinderten ihn manchmal seine schadhaften Zähne am Reden; heute aber hatte er einen guten Tag, und hell, frech und deutlich, mit seiner näselnden Stimme, führte er aus: »Was die Gegenpartei vorgebracht hat, grenzt an Majestätsbeleidigung, und ein Mann, der den Senator Helvid daraufhin wegen Majestätsbeleidigung anzeigte, hätte von den verschärften Strafandrohungen gegen falsche Denunzianten wenig zu befürchten. Es ist mühelos zu erweisen, daß die Ehe des römischen Ritters Flavius Josephus, Freundes des Kaisers, die diese Leute hier als eine schimpfliche bezeichnet haben, auf ausdrücklichen, dringlichen Wunsch des Gottes Vespasian erfolgt ist und daß Gott Vespasian selber an ihr teilgenommen und an der Braut Vaterstelle vertreten hat. Wie man eine solche vom Vater des Vaterlandes vermutlich zum Heile des Reichs befohlene Ehe als eine schimpfliche bezeichnen und die Ansprüche der Dame Dorion darauf gründen zu können glaubt, ist einem guten Römer unverständlich. Ist ein Mann ein Lump, weil er die Weisungen des Gottes Vespasian ausgeführt hat? Wenn der Ritter Flavius Josephus seine erste Ehe später gelöst hat, dann geschah es aus Gründen, die die Majestät des Kaisers Titus gebilligt hat und die niemandem besser bekannt sind als der Gegenpartei. Der Herr Sachwalter der Gegenpartei benötigte, um seine Ausführungen zu begründen, mehr als die Frist der Wasseruhr. Ich benötige, um sie zu widerlegen, sehr viel weniger als diese Frist. Ich begnüge mich, die Beschuldigungen gegen meinen Herrn Mandanten eine absurde Verleumdung zu nennen, und überreiche des zum Beweis den Herren Richtern eine Liste von vorläufig sechshundertvierundvierzig Zeugen, die mit eigenen Augen gesehen haben, daß der Gott Vespasian der Eheschließung des Ritters Flavius Josephus mit erhabener Heiterkeit beigewohnt hat, sie sichtlich billigend. Ich überreiche weiter und lege unter die Lanze eine Liste von dreiunddreißig Zeugen, die bereit sind, durch ihren Eid zu erhärten, daß diese Ehe auf ausdrücklichen Wunsch des Gottes Vespasian geschlossen wurde.«
      Die Ausführungen des Marull erregten in der menschenvollen Julischen Halle Sensation. Der Großrichter beeilte sich, die Vertagung des Prozesses zu verfügen.
      So hatte also Josef durch Preisgabe seiner tiefsten Schmach fürs erste den Schlag abgewendet, den Dorion und ihre Freunde gegen ihn führten. Man hatte in den letzten Jahren in Rom von jener alten Geschichte nur mehr undeutlich gemunkelt; nun war sie von neuem in aller Mund.
      Übrigens ließen sich Helvid und die Seinen durch die freche Drohung des Marull nicht schrecken. In der Sache des Adoptionsbegehrens begründete der mutige Helvid, ohne Furcht vor einer Anzeige wegen Majestätsverbrechens, seinen Einwand mit den gleichen Argumenten, auf denen das Scheidungsbegehren der Dame Dorion basierte: er bezweifelte die Würdigkeit des Josef. Auch Großrichter Arulen wich vor Marull nicht weiter zurück. Trotzdem dieser beantragte, den Einwand des

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