Die Söhne.
sah ausgeleert aus bis ins Letzte. Es war ihm dick vor den Augen wie damals in der Höhle, als er am Verdursten war. Er hörte den aggressiven Ton des Alexas, er begriff, daß er offenbar auch in seinen Augen nicht ohne Schuld war. Aber das kümmerte ihn nicht. In ihm dachten noch immer die Verse des Kohelet: »Alles steht unter eisernem Gesetz, alles geschieht zur vorbestimmten Zeit: geboren werden und sterben, pflanzen und niederhauen, töten und heilen, aufbauen und einreißen, finden und verlieren, sich umarmen und sich vermeiden, Krieg und Frieden. Was also hat es für einen Wert, daß einer sich mühe?« Dies dachte er, und er saß da, hartnäckig, verwildert. Die Glieder mochten ihm eingeschlafen sein, aber er bewegte sich nicht.
Es kamen Freunde, ihn zu besuchen. Demetrius Liban, Claudius Regin, Doktor Licin. Man schickte ihm in weidengeflochtenem Körbchen das Linsengericht der Trauer. Aber trotzdem es Vorschrift war, die Trauernden zu trösten, kamen nicht viele Juden. Josef hatte es verabsäumt, den Toten zu seinem Sohne zu machen, und seinen andern Sohn hatte er nicht zum Juden gemacht. Sie fanden, der Tod des Knaben sei eine Strafe Jahves.
Andern Tages beerdigten sie Simeon-Janiki. Nur wenige gingen mit. Er hatte unter den Römern viele Freunde gehabt, und zum Scheiterhaufen hätten die ihn auch wohl begleitet. Aber daß man ihn nicht verbrannte, sondern beerdigte, empörte sie. Das Judentum war eine erlaubte Religion, und man verwehrte den Juden nicht ihre Bestattungsriten. Doch man war voll Mitleid mit dem Knaben, daß sein Leib auf so barbarische Art den Würmern preisgegeben wurde, und man verweigerte einer solchen Trauerfeier die Gefolgschaft.
Es war also nur ein kleiner Zug, der Simeon zum »Hause der Ewigkeit« brachte, aber es war ein sehr auffälliger Zug. Josef tat das Seine dazu, ihn auffällig zu machen. Er ging hinter der Bahre, nach der Sitte von Jerusalem, unrasiert, das Kleid zerrissen, erschreckend verwahrlost. Er stampfte mit den Füßen, riß sich die Sandalen ab, schlug sich damit. Und die Römer am Wege sagten: »Das ist der Schriftsteller Flavius Josephus, der Jude. Die Götter haben ihn geschlagen. Zuerst hat der Kaiser seine Prinzessin heimgeschickt, und jetzt haben die Untern seinen Sohn geholt.« Sie schüttelten die Köpfe, wie sie den zerlumpten, verwilderten Mann sahen, viele lachten, Müßiggänger schlossen sich dem Zuge an und erfreuten sich an dem Schauspiel des trauernden Juden.
Josef aber schrie seine Klagen hinaus, merkwürdige Klagen. Wenn es nämlich auch erlaubt war, zum Lobe des Toten zu übertreiben, so doch nur denjenigen, die vor der Bahre gingen. Wer indes hinter der Bahre ging, mußte sich streng an die Wahrheit halten, und Jerusalem nahm es mit dieser Regel doppelt genau. Josef also schrie: »Wehe, wehe über meinen Sohn Simeon, meinen Erstgeborenen, den Bastard. Er wußte mit Waffen umzugehen, mit kleinen Geschützen, wie ein Römer, und er ist durch ein Geschütz umgekommen wie im Krieg, und ich habe ihn das Geschütz gelehrt. Wehe, wehe über meinen Erstgeborenen, Simeon, den Bastard, und wo ist der Kaiser, denn dieser Knabe war vielleicht sein Bruder.« Und damit wollte er sagen, daß es ja nicht ausgemacht war, ob nicht der alte Vespasian den Simeon gezeugt hatte, denn der hatte ja zuerst mit der Kriegsgefangenen Mara geschlafen. Wer freilich den Knaben gekannt hatte, wußte, daß nicht die leiseste Ähnlichkeit zwischen ihm und Vespasian gewesen war, wohl aber manches Ähnliche zwischen ihm und Josef.
Die den Josef verstanden, wunderten sich über seine Entblößung und Zerfleischung. Die Römer aber lachten immer mehr. Ihn kümmerte das nicht. Er schrie: »O weh, o weh, jetzt erst sehe ich, zu spät, daß er der Sohn meines Herzens war.« Und er stampfte mit den Füßen und schlug sich mit den Sandalen, und er achtete es nicht, daß die einen den Kopf schüttelten über seine wunderlichen Reden und die andern über sein närrisches Gehabe lachten. So mochte Michal gelacht haben, die Frau des David, über ihren Mann, da er närrisch sprang vor der Lade Jahves; David aber hatte des nicht geachtet.
Zum Grab des kleinen Simeon kamen wenig Besucher. Am dritten Tag stellte sich der kleine Constans ein, und er brachte das graue Eichhörnchen mit, das er sich von Alexas hatte geben lassen. Sehr erregt und mit großer Mühe tötete er das Tier als ein Opfer, auf daß der Kamerad im Hades etwas zum Spielen habe. Er hatte sich lang
Weitere Kostenlose Bücher