Die Söhne.
vergiftenden Einfluß auf den Kaiser, und er bedurfte seiner ganzen weltmännischen Gelassenheit, um gegen dieses Gerede zu bestehen.
Er litt unter der Kälte, und er liebte nicht Aufmerksamkeit solcher Art, wie sie ihm heute zuteil wurde. Aber er war ein guter, geübter Redner, seine geschmeidige Stimme füllte mühelos den Raum und drang durch die große Stille bis auf den Platz vor dem Tempel hinaus. Er spannte sich an. Er wußte, daß er nicht für sich allein sprach, sondern für die fünf Millionen Juden des Reichs, er, letzter Enkel der Könige, die Judäa seit Jahrhunderten beherrscht hatten. Er begann mit einem Kompliment für den Antragsteller. Seine Vorlage gehe aus von einem ethischen Grundgedanken, der wahrhaft des großen Rom würdig sei. Man dürfe aber, meinte er, die Absichten des edlen Antragstellers nicht dadurch gefährden, daß man böswilligen Auslegern ermögliche, die Moral des Gesetzes in der Praxis in eine Intoleranz umzufälschen, die des Reiches unwürdig sei. Zwei großen Völkern des Ostens, den Ägyptern und den Juden, sei die Beschneidung durch Religionsgesetz vorgeschrieben, Völkern, deren Religion das Reich nicht nur erlaube, sondern deren Götter es verehre. Habe nicht der römische Generalgouverneur in Judäa bis zuletzt dem unsichtbaren Gott Jahve ein Opfer in seinen Tempel gesandt? Wolle das Reich die Gläubigen dieses Gottes Jahve zwingen, Gebote zu verletzen, die sie seit Jahrtausenden befolgten? Das Gesetz des Antist in seiner reinen Fassung finde die Billigung aller römisch Denkenden; notwendig aber sei es, durch möglichst klaren Wortlaut jede Entstellung seines moralischen Grundgedankens zu verhindern. Und er bat die erlauchte Versammlung, die ägyptischen Priester, denen ihr Glaube die Beschneidung vorschrieb, sowie die Juden aus dem Gesetz auszunehmen.
König Agrippa sprach mit Wärme und doch mit großer Ruhe; das Gehuste und Geräusper, das Scharren der kalten Füße hörte auf, während er sprach. Nur von außen drang das Geräusch der Massen, die erregten, höhnischen Rufe der Gegner, die fanatischen Stimmen der Juden.
Konsul Pollio, nach der Rede des Agrippa, setzte die Befragung der Berufenen Väter fort; aber die Aufmerksamkeit der Senatoren war erloschen. Die meisten begnügten sich, formelhaft zu erklären: »Ich stimme dem Antist oder dem Agrippa oder dem Corvin bei.« Endlich war es soweit, daß der Konsul die Debatte schließen konnte. Mit Hilfe seiner Beamten und Stenographen stellte er fest, daß insgesamt fünf Fassungen des Gesetzes vorgeschlagen waren. Er verlas die Fassungen und gab den Mitgliedern des Hauses eine Stunde Zeit, noch einmal reiflich zu erwägen, welcher dieser Versionen sie zustimmten.
Die Herren waren froh, aufstehen und sich die Füße vertreten zu können. Sie benutzten die Zeit, eine heiße Suppe oder dergleichen zu sich zu nehmen. Nach Wiederbeginn der Sitzung forderte der Konsul die Urheber der fünf verschiedenen Versionen auf, aus ihren Bänken herauszutreten, und die Senatoren, sich demjenigen Antragsteller anzureihen, dessen Fassung sie angenommen wünschten. Es ergab sich, daß, wie man schon während der Pause hatte errechnen können, die meisten der Berufenen Väter sich um Agrippa scharten.
Seine Version aber lautete in letzter, schriftlicher Formulierung: »Wer einen Menschen, sei dieser ein Freigeborener oder Leibeigener, kastriert, das heißt, seine Geschlechts teile verstümmelt oder ihn beschneidet, verwirkt die in dem Gesetz des Cornel über Körperverletzung vorgesehenen Strafen. Die gleichen Strafen verwirkt, wer eine solche Kastrierung veranlaßt oder dazu Beihilfe leistet. Ausgenommen aus diesem Gesetz sind die ägyptischen Priester, denen ihr Glaube die Beschneidung vorschreibt, sowie die Angehörigen der jüdischen Nation, die ihre in ihrer Mund befindlichen Söhne den Gesetzen ihres Glaubens gemäß beschneiden oder beschneiden lassen.«
Der Vorsitzende schlug vor, diesem Gesetz den Namen des Antragstellers Antist zu geben. Alle stimmten zu. Daraufhin teilte er mit, daß die Beschlußfassung zustande gekommen sei, und zwar noch vor Sonnenuntergang, und forderte den Chef des Kaiserlichen Protokolls auf, davon Kenntnis zu nehmen. Dann erhob er sich, grüßte die Versammlung, den Arm mit der flachen Hand ausgestreckt, und entließ sie mit der Formel: »Ich halte Sie nicht länger auf, Berufene Väter.« Eilig entfernte man sich, um in gut geheizte Räume zu kommen.
Die
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