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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Denn, wie die Inschrift hier nebenan lateinisch, griechisch, aramäisch besagte, Juden durften das Gebiet der früheren Stadt Jerusalem nicht betreten, und hier weiterzugehen war ihnen bei Todesstrafe verboten. Manchmal hatten sich die Soldaten den Witz geleistet, Leute, hinter denen sie Juden vermuteten, weitergehen zu lassen und sie dann erst zu untersuchen. Zweimal in den zehn Jahren hatte sich herausgestellt, daß wirklich Juden in das verbotene Gebiet eingedrungen waren.
      Der Reiter war inzwischen näher gekommen, ein Mann in den Vierzig, von stark jüdischem Aussehen, einfach gekleidet. Er ritt geradewegs auf den Wachsoldaten los. War er ein Narr? Jetzt hielt er an und gab den Gruß. Der Soldat war gutmütig aufgelegt. »Hau ab, Mensch«, sagte er, mit dem Kopf auf die steinerne Inschrift weisend.
      Die andern waren inzwischen aus der Wachbaracke herausgekommen. Der Mann zog ein Papier aus der Tasche und hielt es dem Soldaten hin. »Rufen Sie Ihren Hauptmann«, sagte er. Da das Papier das Siegel des Gouverneurs trug, rief man den Hauptmann. Der, nachdem er das Papier gelesen hatte, machte die Ehrenbezeigung. »Darf ich Sie zum Obersten begleiten, mein Flavius Josephus?« fragte er. Die Soldaten schauten sich an. Sie kannten den Namen. Es war, seitdem sie hier Quartier bezogen hatten, das erstemal, daß ein Jude die Stätte betrat.
      Das Schreiben des Gouverneurs gab Order, Josef, wo immer er sich auf dem Gebiet des früheren Jerusalem ergehen wolle, passieren zu lassen und ihm in jeder Weise behilflich zu sein. Der Lagerkommandant, Oberst Gellius, nicht recht wissend, was er mit seinem vornehmen und unbequemen Gast anfangen sollte, bot ihm die Begleitung eines Offiziers an; aber Josef lehnte höflich ab.
      Er strich durch die Hitze und Ödnis, allein. Als er vor zehn Jahren hatte mit ansehen müssen, wie über einen Teil der halbzerstörten Stadt dem Brauch gemäß der Pflug geführt wurde, war ihm gewesen, als ginge der Pflug über ihn selber. Doch die Ödnis und Verlorenheit, die er heute sah, schien ihm schlimmer. Was damals geschah, hatte einen hochgeschleudert und wieder in die Tiefe geworfen: die Stätte, wie sie heute war, schien einen einschlingen zu wollen in ihre Wüstheit und Leere, und niemals wird, wer sie sah, sich wieder befreien können von der lähmenden Traurigkeit ihres Anblicks.
      Josef wanderte, den Schritt immer schleppender, hügelauf, hügelab. Von der ganzen, großen Stadt standen nur mehr die Türme Phasael, Mariamne und Hippikus und ein Teil der Westmauer; das hatte Titus seinerzeit stehenlassen zum Zeichen, wie herrlich befestigt dieses Jerusalem gewesen war, das seinem Glück hatte erliegen müssen. Alles sonst war mit Kunst und Energie dem Erdboden im Wortsinn gleichgemacht. Hacken, Spaten, Maschinen der Römer hatten sicher harte Arbeit gehabt, ehe sie die Riesenquadern des Tempels und der vielen Paläste so für die Ewigkeit hatten kaputtschlagen können. Ganz und gründlich hatten sie ihr Werk getan, das mußte man ihnen lassen. Fußhoch lag der graue, gelbliche Schutt; der feine Staub drang durch die Kleider in die Haut, füllte Mund, Nase und Ohren, Schutt überall, und darüber die flirrende, grelle, heiße Luft. Josefs Aug und sein Fuß suchten nach Erde, nach ein wenig guter, nackter Erde. Aber er fand nichts als den gelblichgrauen, gelblichweißen Staub. Selten einmal, daß dazwischen grasiges Unkraut sich hervorwagte oder daß aus dem zertrümmerten Stein ein kleiner, frecher Feigenbaum herausknorrte.
      Mit Mühe, gedrückt, Fuß vor Fuß unsicher ins Geröll setzend, suchte Josef seinen Weg. Wenn einer, dann kannte er sein Jerusalem: aber nicht einmal mehr die Straßenzeilen waren zu erkennen; er konnte sich nur an den Hügeln und Tälern orientieren und an den spärlichen Wasserstätten, die die Soldaten nicht hatten verschütten können, weil sie sie brauchten.
      Er klomm hinauf in den Tempelbezirk, über viele Unebenheiten, stolpernd, den Kopf zum Boden gesenkt. Oben hockte er nieder. Hier hatten zuerst Statthalter der Pharaonen gesessen, dann Häuptlinge der Jebusiter, dann hatte König David Burg und Stadt erobert. Mehrmals waren die Mauern geschleift worden, zuletzt hatte Babel sie zerstört, aber niemals seit Tausenden von Jahren war die Stätte so trostlos wüst gelegen wie jetzt. Erschütternd nackt ragte der Fels heraus, auf dem einst Abraham den Isaak hatte opfern sollen, der Nabel der Welt, von dem aus sie gegründet wurde, das

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