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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gerettet werden. Ich finde, daß selbst manches lächerliche Nationale der Früheren heute geadelt erscheint durch die große, übernationale Idee.«
      »Sie verteidigen Gamaliel«, sagte der Acher, und es war in seinen Worten mehr Trauer als Anklage.
      »Ich muß wohl«, sagte Ben Ismael, »da ihr ihn übers Maß hinaus angreift. Wir dürfen die nationale Tradition nicht abreißen lassen; wir verlören mit dem Körper, der die Idee trägt, die Idee selber. Es klingt widerspruchsvoll, daß der übernationale Geist nur in nationalem Gewand überliefert werden kann: es ist darum nicht minder wahr. Sie als Historiker müssen mich verstehen, Doktor Josef«, wandte er sich dringlich an Josef. »Es wachsen einem jeden von uns aus der Geschichte der Väter neue Kräfte zu, über sein individuelles Leben hinaus, über seine individuellen Meinungen hinaus, und diese Kräfte sind mehr als national; denn die jüdische Geschichte ist die Geschichte des Kampfes, den der Geist immerzu gegen den Ungeist zu führen hat, und wer Anteil hat an der jüdischen Geschichte, hat Anteil am Geist an sich. Wenn wir dreimal am Tag das Bekenntnis zum jüdischen Gott aussprechen, dann bekennen wir uns dreimal am Tag zum Prinzip des Geistigen; denn Jahve ist der Geist an sich.«
      Der Minäer Jakob sagte: »Ich gebe zu, daß auch der reinste Geist sich nicht erhalten kann ohne eine Form. Aber was Sie sagen, Doktor Ben Ismael, bestätigt mich mehr, als daß es mich widerlegt. Ist es nicht gerade nach dem, was Sie sagen, unsere Pflicht, diejenigen aufzunehmen, die teilhaben wollen am Geiste? Dürfen wir sie zurückweisen, bloß weil die Römer die Beschneidung verbieten, weil sie es uns zur Zeit unmöglich machen, dem Geistigen die Form im Fleische zu geben? Ich glaube, gerade Sie, Doktor Ben Ismael, müßten Verständnis haben für den Ausweg, den einer unserer Brüder, ein gewisser Paulus, uns zeigt.«
      »Welches ist der Ausweg dieses Paulus?« fragte Ben Ismael.
      Und der Minäer Jakob erwiderte: »Dieser Paulus lehrt: Für den als Juden Geborenen bleibt die Beschneidung verbindlich. Will aber einer unter den Heiden zu euch, meine Brüder, dann verzichtet auf die Beschneidung.«
      »Eine gefährliche Lehre«, sagte Ben Ismael.
      »Eine gute Lehre«, sagte der Acher.
      »Eine Lehre«, sagte Channah, »aus der der Großdoktor
    nicht unterlassen wird gewisse Konsequenzen zu ziehen, falls ihr versucht, sie in die Praxis umzusetzen.«
      Josef aber, der seinen Sohn nicht hatte beschneiden lassen, wußte nicht, ob er zu dieser Lehre ja sagen sollte oder nein. Es war gut, daß ein Gamaliel da war, aber es war auch gut, daß der Minäer Jakob da war und der Acher und, vermittelnd zwischen diesen und dem Großdoktor, Ben Ismael.
      Und Josef verließ die Gegend von Jabne und von Lud, um nach Cäsarea zu gehen, unschlüssig, ob er dort für die Hochschule von Lud eintreten solle oder nicht.

    In Cäsarea empfing ihn Flavius Silva mit lärmender Freundschaftlichkeit und fragte ihn lange und bis in alle Einzelheiten aus, welchen Eindruck er von der Provinz Judäa habe. Josef lobte vieles und machte kein Hehl aus seinen Einwänden. Den Flavius Silva schien gerade diese halb widerwillige Anerkennung zu erfreuen.
      Der Gouverneur war gut gelaunt. Sein Kollege in Syrien hatte wachsende Schwierigkeiten mit dem falschen Nero; er brauchte für die Bekämpfung des Unruhstifters Soldaten und Geld, und man begann sich in Rom über die lange Dauer zu wundern, die die Niederwerfung des lächerlichen Prätendenten erforderte. Flavius Silva machte es einem nicht schwer, aus seinem Bedauern über diese leidige Angelegenheit die Freude durchzuspüren, die er an dem Ärger des Kollegen hatte.
      Er nahm seine jüdischen Gäste mit auf eine längst geplante Inspektionsreise nach Samaria. Vor allem lag ihm daran, ihnen seine Stadt Flavisch Neapel zu zeigen.
      Es war wirklich erstaunlich, was er in so wenigen Jahren aus dem früheren samaritischen Städtchen Sichern gemacht hatte. Er sonnte sich in der Anerkennung der jüdischen Herren, war aufgeräumt, sehr zugänglich. Josef erkannte, daß jetzt der rechte Augenblick war, aus ihm allerhand für die Interessen der Juden herauszuschlagen. Jetzt müßte er die Frage der Universität Lud anschneiden.
      Als guter Psycholog war er sich klar darüber, wie er es anpacken müßte. Er könnte dem Gouverneur zum Beispiel vorstellen, welch ein Vorteil es für seine Provinz wäre, eine Universität

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