Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
zu haben, die gleichzeitig griechische und jüdische Disziplinen lehrte. Die Hochschule von Antiochien, bisher die bedeutendste Asiens, kümmerte sich nicht um die Bedürfnisse der Juden und ließ die Neigung des Ostens außer acht, sich mit jüdischer Weltanschauung auseinanderzusetzen. Eine moderne Universität, die diesen Bedürfnissen entgegenkäme, müßte die von Antiochien rasch überflügeln und zum kulturellen Mittelpunkt des gesamten Ostens werden. Sie müßte reiche junge Leute aus aller Welt in Scharen in die Provinz ziehen. Argumente solcher Art könnten ihre Wirkung auf den Gouverneur kaum verfehlen.
      Allein als Josef dem Flavius Silva von der Universität Lud zu sprechen beginnen wollte, sah er im Geist das kräftige, bräunliche Gesicht Gamaliels vor sich mit dem kurzen, vierekkigen Bart und den vorstehenden Zähnen, und sein inneres Ohr hörte die souveränen, zynischen Sätze des Großdoktors über das Zeremonialgesetz, das allein den Bestand des Judentums sichern könne. Und als dann Josef wirklich zu reden anhub, nahm er zu seinem eigenen Erstaunen wahr, daß er nicht für die Stadt Lud sprach und ihre Universität, sondern für die Stadt Thamna und den Stadtrat Akawja.
      Noch während er sprach, ärgerte er sich über sich selber. Er beschimpfte sich, daß er vor der größeren Aufgabe zurückwich und den günstigen Augenblick für eine so geringfügige Sache wie die des Akawja nützte.
      Übrigens sprach er ohne Schwung und machte es dem Gouverneur nicht schwer, seine Bitte abzulehnen. »Wer sich den Luxus leistet«, meinte behaglich Flavius Silva, »seine Gefühle so ostentativ zu zeigen wie Ihr Akawja, der muß auch bereit sein, dafür zu bezahlen. Wenn ich den Kerl laufenließe, würdet ihr mir in einem halben Jahr alle Edikte der Regierung anspeien und in zwei Jahren die Steintafeln zerschlagen, die sie auf den Plätzen verkünden.«
      Doch der sonst so prinzipientreue Gouverneur fiel im Falle des Stadtrats Akawja wider Erwarten schnell um. Ursache seiner Wandlung war der Gaul Vindex. Der hätte nämlich bei der Eröffnung des Stadions von Flavisch Neapel laufen sollen, verunglückte aber, als er in Joppe aus dem Schiff ausgeladen wurde. Den Gouverneur erreichte die Nachricht, jetzt, in Flavisch Neapel, kurz nach der Unterredung mit Josef. Er wütete. Dies Mißgeschick brachte ihn um die beste Attraktion für seine Festspiele. Er gab sogleich Order, die Leibeigenen, die mit dem Transport des Pferdes beauftragt waren, zu kreuzigen; aber das Programm seiner Festspiele wurde dadurch nicht besser. Er mußte, mußte Ersatz für den Gaul Vindex finden. Er kam zurück auf seinen alten Plan, den Demetrius Liban, der bisher seiner dringlichen Aufforderung zähen Widerstand entgegengesetzt hatte, jetzt, koste es, was es wolle, zu einem Auftreten in seiner Provinz zu bewegen. Beim Abendessen, in Gegenwart des Josef, fing er also von neuem von der Angelegenheit des Stadtrats Akawja zu reden an, setzte nochmals auseinander, was alles gegen eine Begnadigung sprach, und ging dann, unvermutet, zum Angriff auf den Schauspieler über. »Aber ich möchte nicht«, schlich er sich an, »daß die Juden mich für ihren Feind halten. Ich möchte vor allem Ihnen, meine Herren, zeigen, wie sehr ich ihr Freund bin. Ich lege es in Ihre Hand, mein Demetrius, diesen Akawja zu retten. Beweisen Sie mir Ihre Freundschaft, und ich beweise Ihnen die meine. Wirken Sie bei meinen Festspielen mit, und ich schenke Ihnen das Leben Ihres Glaubensgenossen.«
      Liban erblaßte. Das Anerbieten des Silva, den Provinzlern hier zu zeigen, was ein wirklicher Schauspieler ist, war ihm von Anfang an eine große Verlockung gewesen, aber er hatte tapfer widerstanden. Er wollte sein Gelübde halten, wollte zu Ehren Jahves seiner Kunst entsagen, und war es nicht ein zehnfaches Verbrechen, im Lande Israel zu spielen, während einer Pilger- und Sühnefahrt? Doch dieser neue Antrag stürzte alle seine Erwägungen um. Jetzt ging es nicht mehr um ihn, jetzt ging es um das Leben eines Menschen, eines jüdischen Bruders, für den, wie es schien, ganz Israel kämpfte. War es ein Wink Jahves, oder war es wieder einmal eine Versuchung des Satans? Auf alle Fälle bedeutete dieser Antrag neuen Kampf für ihn. »Soll ich vielleicht den Juden Apella spielen?« fragte er bitter. Doch nur Josef verstand die Bitterkeit dieser Erwiderung. Der Gouverneur wußte nicht Bescheid in Theaterdin gen, und, sogleich einhakend, lebhaft und ahnungslos,

Weitere Kostenlose Bücher