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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Jabne hatte bisher den Minäern viel Toleranz gezeigt, trotzdem die meisten der Doktoren ihnen im Grunde abgeneigt waren. Wenn aber jetzt Rom dem Kollegium nahelegte, die Christen zu verleugnen, werden dann die Doktoren nicht dem doppelten Druck nachgeben und die gefährlichen, staatsfeindlichen Mitläufer abschütteln? Sicher werden sie das. Es traf Josef tief, daß Channah so schnell gegen ihren Mann Ben Ismael recht behalten sollte.
      In rasender Eile überlegte er, ob es einen Weg gäbe, die Gefahr von den Minäern abzuwenden. Er sah, noch bevor der Gouverneur zu Ende war, daß es einen einzigen gab. Der Minäerfreunde im Kollegium waren wenige, aber ihre Stimmen hatten Gewicht. Sie konnten sich nur deshalb nicht durchsetzen, weil keine staatliche Autorität hinter ihnen stand. Wie aber, wenn man ihnen diese Autorität verschaffte? Wenn eine von Rom anerkannte Universität in Lud sich für die Minäer ausspricht, dann wird man in Jabne kaum wagen, durch ein Gutachten gegen die Minäer offenkundig zu machen, daß die Spaltung des Judentums selbst seine höchsten Wortführer trennt.
      Die Frage: wenn man das Judentum nur erhalten kann, indem man es nationalisiert und seine kosmopolitische Sendung fahrenläßt, soll man es dann überhaupt erhalten?, diese Frage, noch in Lud ein blasses, fernes, theoretisches Problem, wurde mit einem Schlag eine Drohung von furchtbarer Aktualität. Bekannte man sich zu den Minäern, so forderte man das verärgerte Rom zu Repressalien heraus. Sagte man sich von den Minäern los, dann sonderte sich die jüdische Gemeinschaft noch strenger und hochmütiger von der übrigen Welt ab. Plötzlich bekam die Frage, ob er sich jetzt zum Fürsprecher der Universität Lud machte, ungeheures Gewicht. Er hatte das Ohr des Gouverneurs, die Situation war günstig, seine Argumente mußten einem Manne wie Flavius Silva bestechend klingen.
      Alles, was in Josef an dunkler Sehnsucht nach Religion war, drängte ihn, jetzt für die Minäer zu sprechen, für Ben Ismael, für den Acher. Aber er hörte im Geist die klare Stimme Gamaliels: »Was nicht der Vernunft gemäß ist, ist häßlich.« Das Ziel, das Ben Ismael und dem Acher vorschwebte, war unvernünftig. Wenn es auch vielleicht in tausend Jahren erreichbar sein mochte, heute war es Utopie, der nachzujagen die Existenz des Judentums gefährdete. Wer annahm, der Messias sei bereits erschienen, wer die Hoffnung auf die Wiedererrichtung des Tempels preisgab, gab die ganze jüdische Tradition preis. Wenn Josef jetzt für die Universität Lud sprach, dann nahm er die Zerstörung Jerusalems und des Tempels als ein für immer Gegebenes hin, dann schloß er sich selber aus dem Reich des künftigen Messias aus.
      Er schwieg. Er sprach nicht von der Universität Lud.
      Er wußte nicht, daß es Gamaliel selber gewesen war, der durch Mittelsleute den Gouverneur bewogen hatte, in Jabne das Gutachten über die Minäer einzufordern.

    Es trieb Josef wieder nach Süden. Zuerst ging er auf sein Gut. Er wollte dort, bevor er seine Freunde in Lud und Jabne aufsuchte, in Ruhe darüber nachdenken, was er ihnen auf die Frage erwidern solle: warum hast du uns im Stich gelassen?
      Er war kaum zwei Tage auf dem Gut, als sich ein überraschender Besucher einstellte: Justus von Tiberias.
      Josef hatte diesen Mann seit sechs Jahren nicht gesehen. Er war ihm mehr verbunden und mehr feind als irgendwem sonst auf der Welt. Er hatte eine ewige Streitsache mit ihm, eine Auseinandersetzung, die vor sechzehn Jahren in Rom, als sie einander das erstemal begegneten, angefangen hatte, ein Gespräch, das nicht beendet und das der Sinn seines Lebens war. Immer in diesem Gespräch war Justus der Angreifer, er verfolgte ihn mit Hohn und Bitterkeit, mit dem Scharfblick des Hasses, und Josef seinesteils haßte den Mann, der seine Schwächen so gut kannte und so erbarmungslos ins Licht stellte; aber er lebte nur, um diesem Manne zu zeigen, wer er war. Daß er Justus zweimal das Leben gerettet hatte, ihn einmal sogar vom Kreuze herunterholend, war keine genügende Antwort gewesen, hatte das Gespräch nicht beendet. Diese Taten hatten denn auch Justus keineswegs zu Konzessionen bewo gen; er hatte vielmehr, während alle Welt den »Jüdischen Krieg« rühmte, das Buch zweideutig gescholten, schillernd, oberflächlich, und sich darangemacht, es durch ein tieferes zu verdrängen. Josef hatte alle die Jahre hindurch auf die Fortführung des Gespräches gewartet. Nun aber der Mann

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