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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Verhältnissen stimmen.
      Unvermittelt nun, bei einer Debatte über die Revision des Lobspruches, der beim Brechen des Brotes zu sagen war, drängte Doktor Helbo Bar Nachum darauf, daß der Text auch der drei nationalen Bitten eine eindeutige, der heutigen politischen Situation angepaßte Fassung erhalte. Vor allem die Bitte um die Wiedererrichtung Jerusalems gebe in ihrer jetzigen vagen Formulierung Anlaß zu vielen Mißdeutungen; er habe mit eigenen Ohren gehört, wie Halbgläubige und sogar ganz Ungläubige dieser Bitte ihren eigenen, ketzerischen Sinn unterlegten. Leute, die verstockt und tückisch behaupteten, der Messias sei längst erschienen und die Zerstörung des steinernen Jerusalem sei verdiente Strafe und ein Segen gewesen, selbst solche Leute sprächen bedenkenlos die große und erschütternde Bitte um die Wiedererrichtung Jerusalems mit und sagten amen, wenn der Vorbeter sie spräche. Sie erklärten frech und einfach, es handle sich lediglich um die Wiederherstellung eines Jerusalem »im Geiste«. Doktor Helbo war ein feister Herr mit mächtigem, fleischigem Kinn und einer tiefen Stimme, deren Grollen den Raum gewaltig erfüllte. »Was meinen die Doktoren und Herren?« schloß er seine Rede und sah sich erwartungsvoll um.
      Das Kollegium pflegte den Debatten über »Leugnung des Prinzips«, wie er und die Doktoren Jesus und Simon der Weber sie immer von neuem anschnitten, ohne Teilnahme zuzuhören. Doktor Helbo wußte, man wollte die Entscheidung der heiklen Frage, ob man die Minäer als Juden gelten lassen solle, so lange wie möglich hinausschieben. Wagen aber die Kollegen auch jetzt noch, nachdem die Regierung das Gutachten eingefordert, der Debatte auszuweichen? Er blickte hinüber zu den Sitzen der Minäerfreunde. Die schauten einander unbehaglich an. Sie wußten nicht recht, worauf eigentlich Doktor Helbo hinauswollte. Sie zogen es vor, zu schweigen.
      Da niemand sich meldete, stand Doktor Jesus aus Gophna auf und sprach. Er war ein ruhiger Herr und pflegte seine Worte zu messen. Auch ihm, führte er aus, komme es wie Gotteslästerung vor, wenn seine Gebete sich im Ohre Jahves mischten mit den Gebeten von »Leugnern des Prinzips«. Das eigene Gebet scheine ihm verschmutzt, wenn der Nebenmann die gleichen Worte aufsteigen lasse, ihren Sinn bösartig ins Gegenteil verrenkend. Man könne nicht aus frommem Herzen amen sagen zu der Bitte um den Wiederaufbau der Stadt, wenn man neben sich ein Amen höre aus dem Munde eines Menschen, der die Zerstörung dieser Stadt für segensreich erkläre, ein verdeuteltes Amen also, eine Ketzerei. Notwendig schleiche sich da auch dem Ruhigsten Grimm über die Heuchler ins Herz, und statt sich durch das Gebet Verdienst zu erwerben, falle man in Sünde.
      Man erwartete, jetzt werde ein Antrag kommen. Aber nein, auch Doktor Jesus begnügte sich mit der Konstatierung. Sollte, fragten sich die Minäerfreunde, auch diese Debatte wieder nur Stimmungsmache sein, oder glaubten es die drei an der Zeit, loszuschlagen?
      Sie schlugen los. Simon der Weber bat ums Wort. Er fragte den Doktor und Herrn Helbo, ob der ein Mittel wisse, den Gottesdienst von dem bösen Gift zu befreien, davon er und der Kollege Jesus gesprochen.
      Doktor Helbo wußte ein Mittel. Bei der flüchtigen Revision des Achtzehngebetes vor zehn Jahren hatte man eine der Bitten einfach getilgt, ohne sie zu ersetzen, und so den Grundrhythmus des Gebetes zerstört. Jetzt also erreichten die Bitten nicht einmal mehr die Achtzehn, die heilige Zahl des Lebens. Man möge endlich, schlug Doktor Helbo vor, diese ursprüngliche Zahl wiederherstellen, und zwar möge man die drei Bitten um Wiedererrichtung des Tempels und der Nation ergänzen durch ein Fluchgebet gegen jene Verderber am Wort, die diese Bitten durch Mißdeutung »ins Geistige« verfälschen wollten. Eine solche Regelung stelle nicht nur die ursprüngliche Ordnung des Gebetes wieder her, sondern sie beseitige auch die Gefahr, von der er und seine Kollegen gesprochen; denn eine solche Bitte könnten die Ketzer schwerlich mitsprechen, zu einer solchen Bitte könnten sie schwerlich amen sagen.
      Jetzt wußten Ben Ismael und seine Freunde, worum es ging. Keiner der drei hatte die Minäer mit Namen genannt, aber es war klar, daß sie die Achtzehn Bitten zur Waffe machen woll ten, die Christen aus den Synagogen und aus der Gemeinschaft zu vertreiben. Die Minäer hielten darauf, am Gottesdienst der Allgemeinheit teilzunehmen. Sie zitierten gern

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