Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
Wenn ihr uns ausschließt, werden immer mehr Heiden zu uns kommen, es wird in unserm Glauben immer mehr von der neuen Lehre sein und immer weniger von der alten. Zwingt uns nicht, um der neuen Lehre willen die alte aufzugeben.«
      Channah saß finster und heftig unter den Männern. Sie beschwor sie, den Antrag abzulehnen und, falls sie überstimmt würden, aus dem Kollegium auszuscheiden. Viele aus dem Volk würden ihnen anhangen, und wenn man mit den Minäern zusammengehe, werde man denen in Jabne die Stirn bieten können.
      Ben Ismael war in großer Not. So viel sah er: wenn der Antrag durchging, dann wurden die Riten unter den Minäern ausgelöscht, und wenn er nicht durchging, kam von den Römern neue Bedrückung über die Seinen. Lieb waren ihm die Minäer, viele ihrer Lehren waren seinem Herzen teuer. Aber teurer war ihm Israel und sein Bestand.
      Er ging zur Sitzung des Kollegiums, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben. Um so zielbewußter hatten die Gegner vorgesorgt. Sie drängten darauf, daß zuerst einmal der Inhalt der neuen Bitte klar festgelegt werde, nicht aber ihr Wortlaut. Es wurde bestimmt, daß sie den Fluch Jahves herabflehen solle auf zwei Kategorien von »Leugnern des Prinzips«: auf diejenigen, die nicht an Jahves Einheit glaubten, sondern an einen Messias, der als Mittler zwischen ihm und den Menschen bereits erschienen sei, und auf diejenigen, die da glaubten, sie könnten aus dem eigenen Herzen ohne Hilfe der überlieferten mündlichen Lehre und ihrer gottbefugten Träger das Gesetz ausdeuten.
      Ben Ismael und die Seinen, als man darüber Beschluß faßte, sagten weder ja noch nein. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Die Sitzung hatte kurz gedauert; aber Ben Ismael war müde, als hätte er schwere körperliche Arbeit getan. Er sehnte sich nach seiner Stadt Lud. Wahrscheinlich wird er nie mehr nach Jabne zurückkehren. Er wird aus dem Kollegium ausscheiden, ohne Haß, doch müde des vielen, unnützen Redens, wird in Lud dem Studium der Lehre weiterleben, ohne Auflehnung gegen die Doktoren, ohne Schüler, für sich, für Channah, für seinen Freund, den Acher.
      Doch als er und die Seinen schon gehen wollten, nahm Doktor Simon, mit dem Beinamen der Weber, noch einmal das Wort. Ben Ismael, erklärte er, habe geschwiegen und sich der Abstimmung enthalten. So tiefen Respekt er persönlich vor so milder Gesinnung habe, so sei es doch in einer Zeit wie dieser notwendig, auch den Anschein zu vermeiden, als halte es ein Mitglied des Kollegiums mit jenen Frevlern, auf die Gottes Fluch herabzuflehen der Rat soeben beschlossen habe. Wenn gar ein Mann von der Gelehrsamkeit und dem verdienten Ansehen Ben Ismaels in einen derartigen Verdacht komme, so tue das der Autorität Jahves schweren Abbruch. Es komme darauf an, vor allem den Millionen Juden des Auslands darzutun, daß nur eine Lehre gelehrt werde in Jabne. Er bedaure, daß Ben Ismael geschwiegen habe, und bitte das Kollegium, auf Mittel zu sinnen, wie ein solcher Schade gutgemacht werden könne.
      Betretenes Schweigen war. Dann erhob sich Doktor Helbo. Wieder war er es, der das Mittel wußte. Ben Ismael, meinte er, sei von Jahve mehr als die andern mit der Gabe des Wortes begnadet, und den Gebeten, die von ihm stammten, eigne besondere Tiefe und Inbrunst. Man möge also Doktor Ben Ismael mit der Abfassung der neuen Bitte betrauen. Wenn er sie abfasse, dann habe man die Gewähr, daß die rechten Worte gefunden würden, und außerdem werde vor aller Welt die Einheit Jabnes und die Einheit der Lehre dokumentiert.
      Die Rede Helbos war ziemlich lang. Ben Ismael, während er sprach, schaute vor sich hin, sein blasses Gesicht bewegte sich nicht. Erst gegen Ende sah er hoch, aber er sah nicht Helbo an, sondern seinen Schwager, den Großdoktor. Eine ganze Zeit saßen die beiden Männer Auge in Auge, doch ohne Drohung, betrachtsam eher und gespannt. Es war über Ben Ismael, sowie er Helbos Absicht erkannt hatte, eine eisige Ruhe gekommen, aber inmitten dieser eisigen Ruhe bewegten sich in schnellstem Ablauf seine Gedanken. Er zweifelte nicht daran, daß der Antrag Helbos eine mit dem Großdoktor abgemachte Sache war. Aber er spürte nicht wie gestern einen mit Verachtung gemischten Haß. Gamaliel wollte vernichten, was Israel schädigen konnte, und ihn hielt er für einen Schädling. Er war ein einzelner, der nichts von seinem Einzelglauben aufgeben wollte, und die Gemeinschaft hat die Tendenz, den auszutilgen, der an

Weitere Kostenlose Bücher