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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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den Propheten: »Gebet ist besser denn Opfer«, die uralten Achtzehn Bitten waren ihnen so teuer wie allen andern Juden. Sie liebten von ganzem Herzen den frommen, kunstlosen Gesang, mit dem die Bitten vorgetragen wurden, in vielen Gemeindehäusern stellten sie die Vorbeter. Wenn jetzt, wie Doktor Helbo vorschlug, mit deutlicher Hinzielung auf die Minäer eine Fluchbitte eingefügt wurde, dann konnten diese nicht, wie es Vorschrift war, dazu amen sagen, sie konnten nicht selber Jahve anflehen, sie auszurotten. Sie mußten aus den Bethäusern weichen.
      Der Antrag war von den dreien klug ausgesonnen. Nahm man ihn an, so zwang man den Minäern nicht nur die Entscheidung auf, der sie bisher ausgewichen waren, sondern man vermied auch das Odium, den Römern durch das Gutachten den Vorwand für eine Verfolgung der Minäer zu liefern. Man konnte dem Flavius Silva schlicht erklären: es gibt ein einfaches Mittel, festzustellen, wer Jude ist, wer nicht. Unsere Lehren sind in den Achtzehn Bitten festgelegt. Wer sie mitspricht, wer zu ihnen amen sagt, ist Jude. Wer das nicht tut, gehört nicht zu unserer Gemeinschaft. Es stand durchaus bei den Minäern, ob sie zu der Fluchbitte gegen die Ketzer amen sagen wollten oder nicht.
      Ben Ismael erkannte rasch die Gefahr, die in dem Antrag Doktor Helbos stak. Durch eine nicht unbillige liturgische Vorschrift um das peinliche Gutachten herumzukommen mußte den meisten der Doktoren als eine gesegnete Lösung erscheinen. Aber statt auf Mittel zu sinnen, wie man den gefährlichen Schlag parieren könne, quälte den Ben Ismael eine einzige Frage: war das bösartige Manöver von den dreien allein ersonnen, oder hatte sein Schwager Gamaliel es ausgedacht? Es hätte ihn in der Seele geschmerzt, Gamaliel im Bunde mit den dreien zu wissen.
      Der Großdoktor überhob ihn rasch aller Zweifel. Er ergriff selber das Wort, meinte kurz und trocken, die Lösung, die Doktor Helbo gefunden, scheine ihm gerecht und weise; er pflichte ihr bei. In Ben Ismaels großem Kopf wirbelten hundert bittere Gedanken, anklägerische, empörte, resignierte. Noch nicht viele Wochen war es her, da hatte er zu Channah gesagt, nie würden seine Freunde einen Antrag gegen die Minäer durchgehen lassen. Jetzt war die Forderung der Römer nach dem Gutachten dazwischengekommen, man konnte keinen mehr tadeln, der dem höllisch schlauen Antrag Helbos zustimmte; im Gegenteil, man mußte als Feind der Gemeinschaft erscheinen, wenn man ihn bekämpfte. Er war so betäubt, daß er nicht Worte fand, den dreien und dem Großdoktor zu erwidern.
      An seiner Statt erwiderte einer seiner Freunde. Das Gebet, führte er aus, sei dazu da, von Gott Gnaden für sich selber zu erbitten, nicht Rache an andern; man müsse es Jahve überlassen, seine Leugner und Lästerer zu bestrafen.
      Doch damit erwirkte er nur, daß Doktor Simon mit dem Beinamen der Weber ein zweites Mal aufstand und jetzt, nach dem Eingreifen des Großdoktors, in der Sicherheit des Sieges, ganz massiv und deutlich wurde. Man müsse, erklärte er, die Ketzer zwingen, ihr Gesicht zu zeigen, jene Zweideutigen, die da behaupteten, Juden zu sein, die aber götzendienerisch vor einem Halbgott knieten, der ihnen angeblich die Last ihrer Sünden abgenommen habe. Der Meinungen seien viele, manche seien gut und manche weniger gut, viele Wohnungen seien in Jahves Haus, aber kein Raum sei für jene, die durch den Glauben an diesen Halbgott verstießen gegen das ein und einzige Bekenntnis der jüdischen Lehre: »Höre, Israel, Jahve unser Gott ist einzig.«
      Wenn der Großdoktor jetzt hätte abstimmen lassen, dann hätten sicher sechzig von den siebzig Herren des Kollegiums für den Antrag Helbo gestimmt. Aber Gamaliel blieb loyal wie stets. Ihm scheine, schloß er die Sitzung, es hätten sich einzelne erzürnt, und er schlage vor, die Abstimmung auf den andern Tag zu verschieben; denn es sei nicht gut, eine so wichtige Entscheidung erregten Gemütes zu treffen.

    Ben Ismael schlief nicht in dieser Nacht. Freunde waren um ihn, auch der Minäer Jakob war eilends aus seinem Dorfe Sekanja nach Jabne gekommen. Sie alle saßen um Ben Ismael in Bestürzung und Trauer.
      Der Minäer Jakob sagte: »Ihr wißt, daß wir Juden sind und das Gesetz nicht verletzen wollen. Unser Messias ist gekommen, das Gesetz zu erfüllen. Wir sind friedfertige Leute. Schließt uns nicht aus. Es ist eine alte Lehre und eine neue Lehre. Wir glauben an die neue, aber wir verwerfen nicht die alte.

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