Die Söhne.
genieße. Daß das Opfer mißglückt war, ängstigte ihn. Es machte ihn trüb, daß es nicht gelang, das Andenken des Nero im Volke totzutreten, trotzdem er selber und seine Vorgänger in den vierzehn Jahren seit dem Sturz des Kaisers sich bemüht hatten, alle seine Bauten zu vernichten und seine sichtbaren Spuren zu tilgen. Nur mit Anstrengung hielt Titus die vier Stunden durch, die er der Sitte zufolge im Amphitheater bleiben mußte. Er wollte Rom los sein, er wollte unmittelbar nach der Eröffnung der Spiele auf seine Besitzung bei Cosa fahren, er freute sich auf die ländliche Ruhe dieses primitiven Gutes, das er belassen hatte, wie sein Vater und sein Großvater es übernommen. Er atmete auf, als endlich die vier Stunden vorbei waren und er den Wagen besteigen durfte.
Doch kaum hatte er das Weichbild Roms hinter sich, als ihn eine pressende Übelkeit anfiel. Er hatte sich danach gesehnt, die würdige Haltung aufzugeben, die er sich diese vier Stunden über hatte abzwingen müssen. Aber er durfte auch jetzt seine Erschlaffung nicht genießen. Krämpfe würgten, ein wildes Fieber schüttelte ihn. Der Arzt Valens schickte Kuriere nach Rom, die Kaisertochter Julia, Domitian, Lucia herbeizurufen.
In dem altmodischen Gutshaus dann, in der Nische, auf dem breiten Bett, das sich nur ein paar Handhoch über dem Boden erhob und in dem sein Vater gestorben war, lag der Kaiser Titus. Eine Woche lang lag er da und noch zwei Tage, und er wußte nicht, daß er dalag.
Manchmal unterhielt er sich mit Nero. Es war nicht ganz klar, mit welchem Nero, mit dem Jüngling, der schüchtern und ungelenk, mit dem Manne, der schön und bezaubernd, oder mit dem früh Gealterten, der fett und launisch wie ein verblühtes Weib war. Titus wollte gern herausbringen, mit was für einem Nero eigentlich und wieso überhaupt und worüber er mit ihm sprach. Aber das war schwer; denn Nero hatte einen goldenen Kopf auf wie die Kolossalstatue, und das Geglitzer des Kopfes machte alles undeutlich. War es denn überhaupt der richtige Nero? Er hatte doch selber Auftrag gegeben, den Kopf des Kolosses mit dem seines Vaters zu vertauschen, und jetzt hatte Nero trotzdem seinen eigenen Kopf. Das war eine ungeheure Frechheit und ängstigte den Titus. Wie soll man denn einen so gewaltigen Kopf abhauen, wenn er aus Gold und der Mann, dem er gehört, überdies schon tot ist? Er wandte sich an Britannicus, seinen Jugendgespielen, mit dem er erzogen worden war. Der hatte sich glücklicherweise in den langen Jahren seines Totseins nicht verändert. Aber auch er wußte keinen Rat, und trotzdem sie jetzt zu zweit waren, wollte es ihnen nicht glücken, Nero den goldenen Kopf abzuhauen. Der tat vielmehr immer wieder den Mund auf und sagte: »Ich, Claudius Nero, Enkel des Augustus, werde hervorbrechen aus dem Osten, den Blitz in der Hand.«
Plötzlich wußte Titus, warum der Kopf nicht herunterging: es lag an dem Glasaug. Wenn aber der Mann das Glasaug hatte, war er doch gar nicht Nero. Titus suchte und suchte, er konnte nicht daraufkommen, wer er war, der mit dem Glasaug. Es handelte sich um die Befehlsausgabe, so weit sah er klar, und die Befehlsausgabe war gefährlich. Wohl hatte Titus am Wortlaut schlau und lange gebastelt, man konnte ihm auch nichts nachweisen, aber zweideutig blieb die Befehlsausgabe trotzdem, und der mit dem Glasaug merkte es auch, er schnupperte mit der frechen, weitnüstrigen Nase und blinzelte den Kaiser an. »Belästigt der Gegner die Lösch- und Aufräumekommandos«, las er, und nun war es doch wieder Nero. Das Glasaug stand ausgezeichnet zu dem goldenen Kopf, der ganze Mann wirkte lasterhaft, aber eminent aristokratisch. Unsinn. Er hatte gar keinen goldenen Kopf, er hatte ein nacktes, rotes Gesicht und sah vulgär aus. Natürlich war das nicht Nero; denn diejenigen, die vulgär aussahen, das waren ja sie selber, die Flavier, während Nero auch in der letzten, schmutzigsten Ausschweifung der Aristokrat blieb, der Nachfahr des großen Julius und der Venus.
Wenn der Bursch die Befehlsausgabe falsch versteht, dann geht alles schief, dann wird geschossen, und der mühsame, kostspielige Neubau des Capitols fällt wieder ein. Er hat schon zu Ende gelesen, gleich wird er kehrtmachen. Titus muß den gefährlichen Befehl widerrufen, sofort, im nächsten Augenblick wird es zu spät sein. Er möchte auch, aber er kann nicht; das drückt ihm beinahe den Magen ab. Dabei steigt die Frau bereits die Tempelstufen hinauf. Es ist die
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