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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Heilige Straße, und es ist die Äbtissin der Vestalinnen, und er, Titus, geleitet sie, denn als Kaiser hat er das Erzpriesteramt angenommen. Er bleibt ein wenig zurück, er muß sehen, wie sie geht, denn sie geht nicht, sie schreitet, sie »wandelt her«, es gibt, um ihren Gang zu kennzeichnen, kein anderes als das homerische Wort. Er darf nicht länger hinter ihr zurückbleiben, er muß neben ihr gehen, das Zeremoniell verlangt es, und den Befehl muß er auch in Ordnung bringen. Sonst schießen sie. Wahrscheinlich werden sie schießen, wenn sie gerade auf den Stufen des Capitols ist, und dann zerschießen sie das Bein, und soll er es zerschießen lassen oder nicht? Seine Begierde, das Bein der Vestalin zu sehen, brennt ihn immer mehr, er muß es sehen, von der Sohle bis hinauf zu den Schenkeln, er muß es streicheln, drücken, kneten, pressen. Sie sollen schon schießen, er freut sich darauf, zuzuschauen, wie sie das Bein zerschießen. Worauf warten sie denn? Ja, natürlich, auf den Kerl, den Namenlosen mit dem goldenen Kopf und dem Glasaug. Der steht noch immer mit seinem Befehl. Aber jetzt dreht er sich um, und dann wird es gleich zu spät sein, dann schießt er, der Hauptmann Pedan.
      Titus lacht, leuchtet auf. Pedan heißt er. Selbstverständlich. Daß ihm das nicht gleich eingefallen ist. Dreiundvierzig Jahre, und schon läßt sein Gedächtnis nach. Er stenographiert den Namen in die Luft: Pedan, Hauptmann Pedan von der Fünften. Er stenographiert ihn mehrmals, damit er ihn ja im Kopf behalte. Pedan von der Fünften, Inhaber des Graskranzes.
      Die Frau mittlerweile schreitet noch immer. Jetzt hat sie ihr langes Priesterkleid gerafft wie eine Tänzerin, und er kann das Bein bis hinauf zu den Schenkeln sehen, nackt. Der Anblick ist erfreulich und äußerst unzüchtig. Wer hätte gedacht, daß die Äbtissin der Vestalinnen ein so junges, schönes Tänzerinnenbein hat?
      Da ist man schon im Heiligsten des Tempels. Aber wo ist denn die Jupiterstatue geblieben? Ist der Capitolinische Jupiter auf einmal gestaltlos geworden? Haben diejenigen recht, die behaupten, es stehe nichts im Allerheiligsten? Das wäre ein Unglück. Man könnte dann ja gar nicht opfern. Es wird auch nichts mit dem Opfer. Der weiße Stier reißt sich los. Ein böses Zeichen. Aber er darf sich nicht anmerken lassen, daß ihm das etwas ausmacht. Es ist ihm furchtbar übel, aber er muß hier bleiben, aufrecht, und Disziplin wahren und warten.
      Da steht ja doch etwas im Allerheiligsten. Das Bein steht darin, natürlich, das Bein der Frau, das herwandelnde, herrliche, dieses niederträchtige Bein, das ihm das Hirn verrückt gemacht hat. Es ist ein ungeheures Verbrechen, daß dieses Bein in der Zelle des Capitolinischen Jupiter steht. Es muß fort, er muß es zertreten, in Stücke schmettern, dem Erdboden gleichmachen. Es muß heraus, das da, das Bein. Hep, Hep, es muß herunter. Plötzlich steht sein Vater hinter ihm; vertraulich, mit seiner knarrenden Stimme, gibt er ihm einen Rat. Es ist ganz einfach. Man muß nur das Bein durchhauen, dann fällt der Kopf des Nero von selber herunter. Da hat der Alte recht, wie so oft. Jedermann muß einsehen, daß es leichter ist, die Sehne eines fleischernen Beines zu durchschneiden als einen metallenen Kopf. Er nickt seinem Vater zu, hebt das Schwert.
      Er fährt hoch. Etwas Scharfes, Schmerzvolles und gleichzeitig Wohltätiges schneidet in ihn ein. Man reibt ihm den Körper mit Schnee ab, der brennende Frost bringt das Fieber zum Fallen, dämmt seine Phantasien.
      Er erkennt, wo er ist: im Gutshaus bei Cosa. Er lächelt. Hierher hat er gewollt. Es ist alles genauso gegangen, wie er es gewollt hat. Er hat durchgehalten, er hat die Spiele eröffnet, seine Römer haben sich gefreut. »O du Liebe und Freude des Menschengeschlechts«, haben sie ihm zugerufen und, noch hat er ihren zärtlichen Tonfall im Ohr: »O du unser sehr gutes, sehr großes Walfischlein.« Und jetzt ist er auf dem Gut und hat es überstanden. Zwei Wochen Ferien wird er sich gönnen, drei Wochen, während deren er nichts tut und nichts denkt. Und dann, wenn er ausgeruht nach Rom zurückkommt, wird er die Steuerprojekte überprüfen, die Claudius Regin ihm vorgelegt hat, und den Krieg gegen die Parther vorbereiten.
      Da ist ja auch Bübchen. Bübchen hat sich gefügt, es ist Titus gelungen, ihn klein und geschmeidig zu machen. Geld freilich hat es gekostet. Wenn man hier das Gut bei Cosa mit Bübchens Bauten bei Albanum

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