Die Söhne.
ich.« In ihm aber dachte es: Keine Weisheit ist außer der des Kohelet: »Der Mensch ist nicht mehr wert als das Vieh. Wie dieses stirbt, so stirbt jener, und alles ist eitel.«
Titus schien unendlich schwach, geschüttelt von Frost und Schmerz, aber, vielleicht war es die Wirkung des Trankes, er war völlig klar. Das ererbte und anerzogene Römertum in ihm war stark genug, die Furcht der Kreatur in der Stunde des Absterbens zu besiegen. Zwar verlangte er nicht, im Stehen zu sterben, wie der Alte, aber auch er wollte, daß in seinen letzten Augenblicken keine Niedrigkeit sei, und ferner wollte er, daß gerade dieser Mann aus dem Osten mit ansehe und bezeuge: der römische Kaiser Titus starb nicht unwürdig. Nur mit Anstrengung tat er die bläulichen Lippen auf, doch seine Stimme war vernehmlich, ja, es war in ihr ein letzter Rest jenes schmetternden Kommandotones, den Josef so oft vor den Mauern Jerusalems gehört, und er sprach: »Ich habe dich herrufen lassen, Flavius Josephus, daß du etwas aufschreibst. Ich habe dir eine Ehrensäule hingestellt: halte du für die Späteren fest, was ich dir sage. Ich habe mich bemüht, die ›Liebe und Freude des Menschengeschlechts‹ zu sein, ich war das sehr gute, sehr große Walfischlein, und ich habe zu dem Tag, an dem ich nichts Gutes tat, gesagt: diesen Tag habe ich verloren. Aber das ist es nicht, was du aufschreiben sollst. Ich habe viele Menschen umgebracht, und das war gut, ich bereue es nicht. Allein ein Einziges ist, das war nicht gut. Schreib das auf, mein Jude, du großer Geschichtsschreiber: der Kaiser Titus hat keine Tat seines Lebens bereut, nur eine einzige. Hörst du mich? Schreib es auf, mein Jude, mein Chronist.« Da Titus verstummte, fragte Josef: »Welche Tat, mein Kaiser?«
Doch Titus, statt aller Antwort, mit verlöschenden, sonderbar nach innen gestellten Augen, fragte: »Warum ist Jerusalem zerstört worden?«
Da packte den Josef ein lähmendes Entsetzen von seinen Eingeweiden her, und er stand steif und wußte nichts zu erwidern. Der Kaiser aber fuhr fort und bat: »Willst du mir nicht eine Antwort geben, mein Jude? So lange habe ich auf eine Antwort gewartet, und niemand kann sie mir geben, nur du, und wenn du sie mir jetzt nicht gibst, wird es zu spät sein.«
Josef aber, mit all seiner Energie, riß sich zusammen und erwiderte, und das war die Wahrheit: »Ich weiß es nicht.«
Doch Titus, aus dem Schnee heraus, fuhr jämmerlich fort: »Ich sehe, du willst es mir nicht sagen. Ihr habt ein gutes Gedächtnis, ihr Juden. Ihr seid wie euer Gott, eifervoll, ihr tragt einem ewig nach, was man einmal getan hat, und vergeßt nichts bis ans Ende.« Und wie ein Kind klagte und maulte er weiter: »Ich war dir nie feind, mein Jude, und habe dich nicht entgelten lassen, was die Frau an mir getan hat. Ich bin dein Freund geblieben, auch als sie wegging. Aber du willst mir nicht antworten.«
Den Josef aber erschütterte der Wahn des Mannes. Da suchte er noch im Sterben ihn und sich selber zu belügen und machte sich vor, die Frau, die er weggeschickt hatte, habe ihn aus eigenem Willen verlassen, und er tat dies, um eine Antwort zu bekommen auf die Frage, warum diese Stadt Jerusalem zerstört worden sei, die er doch selber zerstört hatte. Das Grauen vor der Brüchigkeit der menschlichen Vernunft packte Josef derart, daß er darüber den Frost und die Dunkelheit des elenden Raumes vergaß und die schauerliche Verlassenheit dieses Sterbenden. Die Juden, die vom andern Tiberufer, hatten also doch recht: Jahve hatte dem Kaiser eine Fliege ins Hirn geschickt, die summte darin herum, kein Lärm des Arsenals hatte sie zur Ruhe bringen können. Titus war nur ein Werkzeug gewesen, nicht mehr als die rote, behaarte Hand des Hauptmanns Pedan. Jetzt berief er sich darauf, daß er ein Werkzeug war: doch damals, als er handelte, hat er es nicht wahrhaben wollen. Er hat sich übernommen, damals. Er hat gewußt, daß es darum ging, Ost und West zu vereinigen, aber er ist auf halbem Wege umgekehrt, hat den Osten, statt ihn zu gewinnen, kaputtgeschlagen und wurde wieder der Römer, der er von Anfang an gewesen, nur der Römer, nichts als das, ein armer Eroberer, ein kläglicher Mann des Tuns, ein Narr, der um die Nichtigkeit des Tuns wußte und doch nicht davon ablassen konnte. Jetzt hat er seinen Lohn dahin. Da liegt er, und das Gesicht ist das seines Vaters, das Gesicht eines alten Bauern: nur daß der Alte damit einverstanden und darauf stolz war,
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