Die Söhne.
dieser aber sich dessen schämt. Der Herr der Welt, der Kaiser, der Römer, der mißratene Weltbürger, das Häuflein Dreck, der Mensch, der dahingeht wie das Vieh.
Und als der Mann im Schnee nochmals die bläulichen Lippen rührte – Josef konnte nichts mehr hören, aber er wußte, daß er seine Frage wiederholte und auf seiner Antwort bestand –, da überkam ihn das ganze Elend dieser Frage, und das Gefühl überwältigte ihn, wie nichtig er selber sei und alle Kreatur. Er konnte den Anblick des Sterbenden kaum mehr ertragen, er mußte sich bezähmen, um nicht hinauszustürzen, diesem Frager zu entfliehen, und er atmete auf, als der Arzt Valens eintrat.
»Ich trage keinen Anstand«, sagte Valens, »Sie diesmal schon nach einer Viertelstunde zu stören.« Er wandte sich dem Mann im Schnee zu. »Der Kaiser Titus Flavius ist tot«, konstatierte er sachlich.
Domitian unterdes ritt eilends nach Rom zurück, ohne Begleitung. Nacht fiel ein, es war spärlicher Mond und sehr dunkel. Domitian schonte sein Pferd nicht. Nun es soweit war, wollte er nicht glauben, daß die Herrschaft, nach der er sich so lange und so verzehrend gesehnt, ihm wirklich zufallen werde, und er malte sich aus, was alles noch zwischen ihn und die Erfüllung treten könnte. Wie, wenn dieser Valens ihn verriet und dem Titus von den Gesprächen mit Marull erzählte? Titus war ein Schwächling und besessen von seinem närrischen Wunsch, der Dynastie die Erbfolge unter allen Umständen zu erhalten. Aber wenn er auch Julia und alles Vorhergehende vergaß, so närrisch konnte er nicht sein, daß er nicht nach einem solchen Verrat zupackte und ihm und dem Marull den Henker schickte.
Unsinn. Man brauchte keinen Arzt, um zu erkennen, daß Titus im Sterben lag, mit oder ohne Schneebad. Selbst wenn Valens sich täuschte, wenn Titus noch einen Tag, ja wenn er noch eine ganze Woche leben sollte: gegen ihn, Domitian, hat er ausgespielt. Er wird sich jetzt, sowie er nach Rom kommt, einfach der Garde versichern, alles ist vorbereitet. Mit Hilfe der Garde kann er sich, was immer kommen mag, so lange halten, bis Titus hinüber ist.
Er ist hinüber, er ist bereits ein Gott, er lebt nicht mehr. Domitian spürt es tief in seinem Innern. Er ist tot, der andere, der Bruder. Nie mehr wird er das unangenehme Schmettern seiner Kommandostimme hören müssen, nie mehr sein überlegen humoristisches Zureden. Es ist aus. Das ist gut, auch für Lucia. Sicher wird sie sich darüber freuen. Domitian, während er durch die Nacht dahinjagt, rötet sich. Sie muß sich darüber freuen.
Es ist merkwürdig, daß eine Frau wie Lucia den Titus nicht verachtet, den Narren und Schwächling. Was er zum Schluß wohl noch mit dem Juden zu reden hatte? Er braucht Popularität, auch nach dem Tode, er braucht den Geschichtsschreiber, er stirbt für den Geschichtsschreiber, wie er für ihn lebte. Er braucht künstliche Stützen, das ist es, er genügt sich selber nicht. Immerhin wäre es nicht uninteressant, zu wissen, was er mit dem Juden besprochen hat. War es wegen Julia? Schade, daß nicht er selber, Domitian, heute davon anfing. Jetzt ist es aus, und er wird nie mehr erfahren, ob der andere es auch ganz gespürt hat, daß das Konto bereinigt war. Ob der Jude ihm verraten wird, was Titus ihm anvertraut?
Er selber wird keinen Juden und Geschichtsschreiber brauchen, wenn er stirbt. Er ist seiner sicher. Das einzige, was ihm noch fehlte, war der garantierte, legitime Besitz der Macht. Nun er sie hat, braucht er keinen Chronisten. Ob er den Josef umbringen lassen soll? Der Mann weiß vieles, was besser nicht gewußt wird. Aber es wird Lucia nicht angenehm sein, wenn der Mann nicht mehr da ist. Wer die Macht hat, dem genügt das Gefühl, daß er seinen Lüsten nachgeben könnte: er braucht ihnen nicht nachzugeben. Lassen wir den Mann leben.
Domitian ritt in Rom ein. Ritt, es war jetzt tiefe Nacht, in die Kaserne der Leibgarde auf dem Palatin. Befahl den Kommandanten zu sich. Teilte dem Erschreckten mit, daß der Kaiser gestorben ist. Ließ Alarm schlagen. Aus dem ersten Schlaf auftaumelnd, versammelten sich die Mannschaften in den Höfen. Man gab ihnen bekannt, Titus sei gestorben; die erste Amtshandlung des neuen Kaisers bestehe darin, daß er ihnen eine Gratifikation von achthundert Sesterzien pro Mann anweise. Die gleiche Kundgebung wurde in den andern Kasernen der Stadt verlesen. Offiziere und Soldaten wurden auf den Kaiser Flavius Domitian vereidigt.
Weitere Kostenlose Bücher