Die Söhne.
Barzaarone, der Vorstand der Agrippenser-Gemeinde, die Worte bedenkend, die Claudius Regin bei der Bestattung des Kaisers gesprochen, hatte den Josef eingeladen, den Vorabend des Sabbats in seinem Hause zu verbringen. Josef ging also zum DreiStraßen-Tor in das Haus des Cajus.
Mit Vergnügen erkannte er das Speisezimmer wieder. Heute wie damals vor fünfzehn Jahren, als er zum erstenmal hierhergekommen, war der Raum zur Feier des Sabbateingangs nicht nach römischer Art erleuchtet, sondern, nach dem Brauch Judäas, von silbernen, mit Veilchengirlanden geschmückten Lampen, die von der Decke hingen. Heute wie damals stand auf dem Büfett altes Tafelgeschirr mit dem Emblem Israels, der Weintraube. Mehr aber als alles andere rührte das Herz des Josef der Anblick der strohumhüllten Wärmekisten; da am Sabbat nicht gekocht werden durfte, bewahrte man die schon bereiteten Speisen in diesen Kisten auf, und ihr vertrauter Geruch erfüllte den Raum.
Cajus Barzaarone kam ihm unbefangen entgegen, als hätte er ihn gestern zum letztenmal gesehen. »Friede mit dir, mein Doktor und Herr Josef Ben Matthias, Priester der Ersten Reihe«, bot er ihm ehrerbietig den hebräischen Gruß und führte ihn zum mittleren Speisesofa, dem Ehrenplatz. Sogleich dann sprach er, man hatte offenbar nur auf Josef gewartet, über einem Becher judäischen Weines, Weines von Eschkol, das Heiligungsgebet des Sabbatabends. Segnete sodann das Brot, brach es, verteilte es, alle sagten amen, und man begann zu essen.
Solange die Frauen und die Kinder anwesend waren, kam keine rechte Unterhaltung zustande. Endlich aber war die Mahlzeit aus, und Josef, Cajus und des Cajus Schwiegersohn, der Doktor Licin, blieben allein. Sie saßen zusammen, die drei Männer, bei Wein, Konfekt und Früchten. Der alte, schlaue Möbelhändler lockerte seine vorsichtige Zurückhaltung. Wären gewisse äußere Ereignisse nicht eingetreten, begann er, dann hätte er den Josef nicht in sein Haus gebeten, so sei aber nichts von dem eingetroffen, was sich die Juden von dem neuen Regime versprochen hätten; im Gegenteil, die Erwartung, daß der Kaiser eine Jüdin heiraten werde, habe die judenfeindliche Stimmung nur verstärkt. Und der Kaiser schreite nicht dagegen ein, und Berenike komme nicht. Er habe nun gehört, Josef werde anläßlich der Vollendung der Neufassung seines Buches Gelegenheit haben, den Kaiser ausführlich zu sprechen. Er fordere den Josef auf, Titus dann daran zu erinnern, daß die bedrängten Juden Roms auf ein Wort des Wohlwollens warteten.
Josef hatte sich nichts vorgemacht über die Gründe, die Cajus Barzaarone veranlaßt haben mochten, die Versöhnung mit ihm anzubahnen. Bei aller Verachtung, die die Juden ihm gezeigt hatten, war man auch früher schon manchmal an ihn herangetreten, wenn es galt, bei Hofe Beschwerden vorzubringen oder Vergünstigungen zu erlangen. Aber daß der Mann jetzt so nackt und unumwunden heraussagte, was er von ihm wollte, ärgerte ihn. Mit hochgezogenen Augenbrauen hörte er zu. »Ich will tun, was ich kann«, erwiderte er kurz.
Der geschmeidige Doktor Licin bemerkte Josefs Verstimmung. »Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit noch für eine andere Sache«, sagte er schnell, sehr liebenswürdig. Josef konstatierte fast wider Willen, wie sehr zu seinem Vorteil der früher ein wenig affektierte Herr sich verändert hatte. Vermutlich hatte ihn Irene zurechtgeschliffen. Wenig fehlte, und damals hätte er selber die Tochter des reichen Möbelhändlers geheiratet; glühend hatte sie ihn verehrt in seiner ersten römischen Zeit, als er, ein begnadeter Soldat Jahves, ausziehen wollte, um für sein Land zu streiten. Wie anders wäre alles gekommen, wenn er sie zur Frau gehabt hätte. Er wäre dann wohl in Rom geblieben und hätte niemals eine Armee geleitet und ins Verderben geführt. Er wäre nie Tischgenosse des Kaisers und des Prinzen geworden. Er lebte dann jetzt wohl in Rom als Schriftsteller, reich, ruhevoll, mit mäßigen Sünden und mäßigen Verdiensten, wohl angesehen, so wie dieser Doktor Licin. Die stille, ernste Irene hätte ihn vor seinen ausschweifenden Handlungen bewahrt, er hätte seine Taten in der Phantasie begangen statt in der Wirklichkeit und hätte sich damit begnügt, von ihnen zu schreiben. Ein wenig vielleicht beneidete er den Doktor Licin: aber im Grunde war er einverstanden, daß dieser Irene geheiratet hatte und nicht er.
»Es ist jetzt gewiß«, setzte ihm Doktor Licin auseinander, »daß
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