Die Söhne.
muß, darauf war er gefaßt. Er muß ihm Zeit lassen. Mit seiner schönen, warmen Stimme erwidert er, wie sehr er sich freue, dem Kaiser die neue Fassung seines Werkes zu überreichen. Dann stellt er ihm den Mann vor, der die Rolle trägt, diesen seinen Sekretär Phineas. Vielwortig setzt er auseinander, ein wie trefflicher Mitarbeiter der Herr ihm gewesen sei. Auf solche Art zahlt er dem Griechen seinen Haß durch Großmut heim und gibt gleichzeitig dem Kaiser Gelegenheit, Neutrales zu reden und sich an sein neues Gesicht zu gewöhnen.
Titus spricht mit dem Sekretär ein paar freundlich gleichgültige Worte. Dann nimmt er ihm die schwere Rolle des »Jüdischen Kriegs« ab, rollt sie auf, gewahrt das Porträt des Josef. Lange beschaut er das Porträt, schaut dann von dem Bild auf den Mann, seine Augen werden frischer, ein Schmunzeln geht über sein knabenhaftes Gesicht. »Da hast du aber noch deinen Bart gehabt, mein Josef«, meint er freundschaftlich, mit einem kleinen Lachen. Josef, das Lachen des Kaisers offen und vertraulich zurückgebend, erwidert: »Bitte, lesen Sie mein Buch, Majestät, und sagen Sie mir, ob ich soweit bin, mein Gesicht nackt zu zeigen, oder ob ich mir von neuem den Bart stehen lassen soll.« – »Sei sicher, daß ich es dir offen sagen werde«, erwidert, zusehends herzlicher und vergnügter, Titus, entrollt das Buch weiter, rollt es dann behutsam wieder zu und legt es, zärtlich fast, auf den Tisch. Alle seine Schlaffheit ist fort. Er faßt den größeren Josef um die Schulter, redet auf ihn ein, führt ihn weg von den andern, geht mit ihm auf und ab in dem weiten Raum, redet, frisch, gelöst, doch die Stimme leicht gesenkt, auf daß die andern ihn nicht hören.
Er spricht aber mit ihm von den langen Monaten, da sie zusammen vor den Mauern des verhungernden, verfallenden Jerusalem lagen. »Weißt du noch, mein Josef«, sagt er, »wie wir damals an der Leichenschlucht standen, in Abschnitt IX? Weißt du noch, was wir damals gesprochen haben?« Ob Josef es wußte. Das war der Abgrund vor der Mauer gewesen, in den die in der Stadt ihre Leichen zu werfen pflegten, Tausende jeden Tag. Gegen Ende Juli war es gewesen, es mögen jetzt ziemlich genau neun Jahre her sein. Eine große Stille war, sie standen in der früher so üppigen Landschaft, die nun öde war und voll von scharfem, beizendem, atemnehmendem Gestank. Da standen sie, zu ihren Füßen die Schlucht, in der Menschen von Josefs Stamm verwesten, hinter ihnen, vor ihnen, neben ihnen die Kreuze, an denen Gefangene, Menschen von Josefs Stamm, hingen, die Luft, das ganze, kahle Land voll Getier, das auf den Fraß wartete. Es war ein sehr bitterer Sommer gewesen für den Mann Josef und, bei allem Stolz und Glück, ein sehr schmerzhafter auch für den Römer. »Und weißt du noch«, fuhr der Kaiser fort, »was wir miteinander sprachen, als ich dich besuchte, wie du verwundet lagst, getroffen von den Schüssen der Juden?« Ob Josef es wußte. »Bist du unser Feind, mein Jude?« hatte Titus damals gefragt, und »Nein, mein Prinz«, hatte er geantwortet. Aber »Gehörst du zu denen jenseits der Mauer?« hatte Titus weiter gefragt, dringlicher, und »Ja, mein Prinz«, hatte Josef erwidert. Er erinnert sich genau, wie Titus ihn damals angesehen hatte, ohne Haß, doch kummervoll vor Nachdenken; denn auch Berenike gehörte zu jenen Fanatischen, Unverständlichen, Verblendeten, und niemals wird er sie ganz verstehen. »Weißt du noch, weißt du noch«, fragte der Kaiser, und Josef wußte, und jetzt verstanden sie einer den andern. Sie waren älter geworden, das Gesicht des einen, jetzt nackt, war zerarbeitet, viele neue Erfahrungen waren darin eingeschrieben, das des andern verfettet, müde, voll Verzicht. Aber sie lockerten sich auf, beide, sie dachten sich zurück, die frühere große Vertrautheit war um sie. Josef war weitergegangen auf seinem Weg nach Westen, den Titus zog es weiter auf dem Weg nach Osten. Josef hoffte, spürte, der Tag wird kommen, da er offen mit diesem Manne über seine geheimsten Ziele wird reden können, über die sieghafte Verschmelzung des Ostens mit Rom. An diesem Tage aber werden der römische Kaiser und der jüdische Schriftsteller eines sein: die ersten Weltbürger, die ersten Menschen eines späteren Jahrtausends.
»Ich muß dir übrigens doch sagen«, erzählte ihm vertraulich Titus, »was mein Vater mir einmal geraten hat. ›Laß dich nicht zu tief ein mit den Juden‹, redete er mir zu. ›Es tut
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