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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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eine schöne, große Rolle, der Behälter, die Handgriffe aus kostbarem, altem Elfenbein, das Material herrlichstes Pergament. Die Initialen jedes Kapitels waren kunstvoll verziert, vornean war vielfarbig das Porträt des Autors.
      Sehr aufmerksam beschaute Josef das Porträt, kritisch, wie das eines Fremden. Ein brauner, langer Kopf, heftige Augen, starke Augenbrauen, die Stirne hoch, vielfach gebuckelt, die Nase lang, leicht gekrümmt, das Haar dicht, schwarzglänzend, der Bart starr, dreieckig zugespitzt, die dünnen, geschwungenen Lippen ausrasiert. »Flavius Josephus Römischer Ritter«, lautet die Umschrift: aber es ist der Kopf des Doktors und Herrn Josef Ben Matthias, Priesters der Ersten Reihe, Vetters der Prinzessin Berenike, aus dem Geschlechte Davids. Die Sprache ist griechisch, aber es ist ein jüdisches Buch. Es ist ein jüdisches Buch, doch sein Geist ist der eines Weltbürgers.
      »Flavius Josephus Römischer Ritter.« Noch immer beschaut Josef das Porträt. Die Juden rasieren nicht die Ecken ihres Haupt- und Barthaars. »Ihr sollt nicht rund abnehmen die Seitenenden eures Haupthaars und nicht zerstören die Enden eures Bartes«, heißt es in der Schrift. Die Römer hingegen tragen das Gesicht glattrasiert. Solang es nicht ausgearbeitet genug ist, lassen sie den Bart stehen; dann aber, wenn sie finden, ihr Gesicht sei fertig, zeigen sie es nackt. Josef hat jetzt genug gearbeitet an sich und seinem Buch. Er darf es wagen, sein Gesicht nackt zu tragen.
      Aber ist es klug, jetzt, da er zum erstenmal zu Titus geht, sich ihm ohne Bart zu zeigen? Titus verlangt nach dem Juden, nicht nach dem Römer.
      Josef rollt das Buch auf. Er hat ein jüdisches Buch geschrieben. Sein Judentum steckt nicht in seinem Haar und seinem Bart. Er darf es sich leisten, mit nacktem Gesicht zu Titus zu gehen.

    Der erwartet ihn in angenehmer Spannung. Seit Wochen hatte er Verlangen getragen, Josef zu sehen; nur jene seltsame Lauheit, die ihn die ganzen letzten Wochen hindurch hemmte, hatte ihn verhindert, ihn rufen zu lassen, bevor er sich meldete.
      Der Kaiser hatte in diesen ersten Wochen seines Regiments keine gute Zeit gehabt. Er war stumpf, mutlos, alle Frische war ihm ausgeronnen. Es zehrte an ihm, daß das römische Volk sich all seinen Mühen zum Trotz feindselig vor ihm zusperrte, daß die Massen in ihm einen Tyrannen sahen, einen Emporkömmling, einen Ausbeuter. Auch sonst ging alles quer. Die Mißstimmung gegen die Juden, das Volk seiner geliebten Berenike, wuchs, und er, vergiftet von jener quälenden Apathie, brachte es nicht über sich, ernsthafte Maßnahmen dagegen anzuordnen.
      Wäre doch erst Berenike da. Er muß einen Menschen haben, vor dem er sich ganz ausschütten kann. Sein Arzt Valens schaut einen mit seinen schweren, langsamen, prüfenden Blikken durch und durch; das tut schmerzhaft wohl. Er hat Valens soviel wie möglich um sich; auch jetzt ist er bei ihm. Aber über das Letzte, was ihm fehlt, kann Titus mit diesem seinem Arzt doch nicht sprechen; der ist Römer, und was ihm fehlt, ist eben das andere, ist der Osten.
      In großer Spannung also erwartet er Josef. Denn Josef weiß um seine Listen und Kämpfe, Berenike zu gewinnen, weiß um das Hin und Her, das der Zerstörung des Tempels vorausging, weiß um seinen Streit mit dem unsichtbaren jüdischen Gott. In Aufgelöstheit und Bereitschaft erwartet er seinen jüdischen Freund.
      Er stand auf, als Josef kam, ging ihm entgegen. Aber auf halbem Wege stutzte er. Was ist das, dieses nackte Gesicht? Ist das sein Jude Josef? Er verzögert den Schritt, enttäuscht. Soll ihm auch diese Freude wieder zerrinnen? Er sucht in dem Gesicht des andern, erkennt die gebuckelte, gewalttätige Stirn, die heftigen Augen, die lange, leicht gekrümmte Nase, die begehrlichen, geschwungenen Lippen, den ganzen westöstlichen Mann. Allein so schnell schmilzt seine Fremdheit nicht. Wohl umarmt er den Josef und küßt ihn, wie es der Gebrauch unter Freunden fordert; aber seine Gesten bleiben kühl, formell. »Ich freue mich, Sie einmal wiederzusehen, Flavius Josephus«, sagt er. Er gibt ihm seinen römischen Titel, und in seiner Stimme ist nichts von der Vertrautheit, auf die Josef sich gefreut hat.
      Josef ist gleichwohl nicht entmutigt. Mit raschem Blick hat er die Situation übersehen. Das Porträt der Berenike, die fremden, spähenden, gequälten Augen des Titus, des Kaisers, seines Freundes. Daß der sich erst in seinem neuen Gesicht zurechtfinden

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