Die Söhne.
auch wenn seine Bekenner auf listigen Umwegen zu ihm gehen. Es war ein großes Geschenk, daß Jochanan Ben Sakkai ihm die Frau und den Knaben geschickt hatte.
Mara rückte näher. »Zürnst du, mein Herr, daß ich gekommen bin?« fragte sie, da er lange schwieg. »Du hättest schreiben sollen und meinen Willen einholen«, erwiderte er. Doch sogleich, gnädig, fügte er hinzu: »Aber nun du da bist, mag es sein.«
Der Bildhauer Basil zeigte dem Josef das Stück Metall, aus dem sein Kopf entstehen sollte. Es war korinthische Bronze, jenes besonders edle Metall, das vor nunmehr zweihundertsechsundzwanzig Jahren entstanden war, als bei der Zerstörung der Stadt Korinth die Kunstwerke aus Gold, Silber, Kupfer in geschmolzenen Strömen ineinanderflossen, sich zu einer seither nie wieder erreichten Mischung von wunderbarer Schönheit vereinigend. Der Bildhauer versprach sich viel von dem blassen, fremdartigen Schimmer, der von Josefs Kopf aus gehen werde, wenn er erst in diesem Metall gegossen sei. Basil arbeitete jetzt an einem Tonmodell, nachdem er zuerst ein Wachsmodell geknetet hatte. Josef saß auf dem Podium des großen Ateliers und hörte dem Manne zu, der ihm von Dingen erzählte, die ihm sehr fremd waren. Von den zahllosen Fälschungen zum Beispiel, die man in Rom den Sammlern anzuhängen versuchte. Warum auch sollte man die reichen Leute nicht übers Ohr hauen, die auf das Alter von Kunstwerken und auf verschollene, zweifelhafte Meisternamen mehr Gewicht legten als auf den Kunstwert? »Ich habe da«, erzählte er, »jüngst bei dem Sammler Tullus gegessen. Es war eine große Gesellschaft, lauter Freunde des Tullus. Auf den Tischen standen über dreihundert Silberbecher und sonstiges Tafelgerät, eines kostbarer und älter als das andere, die Ziselierungen schon ganz verwischt. Ich sage Ihnen, Flavius Josephus, die Kunstwerke waren so echt wie die Freunde. Da war zum Beispiel ein Tafelaufsatz, ein Löwe, der eine Antilope reißt, darunter in antiken Schriftzeichen, gerade noch lesbar, der Name des großen Myron. Myron ist jetzt seit mehr als fünfhundert Jahren tot, aber wenn Sie meinen guten Kritias fragen, der könnte Ihnen genau erzählen, ob der bewußte Myron heute früh mit dem rechten oder mit dem linken Fuß aufgestanden ist.«
Josef, während der kleine, hurtige Mann schwatzte, sah zu, erstaunt, unheimlich angerührt, wie unter seinen Händen sein Gesicht entstand. Dieser widerwärtige Basil hatte ärgerlicherweise nicht zuviel behauptet: was da vor ihm in die Welt hineinwuchs, das war in Wahrheit sein Kopf, nicht weniger lebendig als der von Fleisch und Blut, und es wird in Zukunft schwer sein, schwer sogar für ihn selber, diesen Kopf anders zu sehen. Das waren seine Lippen, seine Nüstern, seine Stirn. Und doch war es ein fremder, unheimlicher Kopf. Er riß sich zusammen, er wollte Klarheit. Waren das die Lippen, die Weisung gegeben hatten, den Justus vom Kreuz zu nehmen, den Freundfeind, der jetzt an einem »Jüdischen Krieg« schrieb, der Schamlose? Waren das die Nüstern, die den Brand und Gestank des stürzenden Jerusalem und des Tempels eingesogen hatten? War das die Stirn, hinter der der entschlossene Wille gewohnt hatte, die Festung Jotapat sieben mal sieben Tage zu halten? Ja, dies war sein Gesicht, und war doch nicht seines, wie jene Taten sein waren und doch nicht sein; denn jetzt würde er sie nicht mehr tun oder anders. Er schaute sich an, der lebendige Josef den tönernen. Vieles, was der Mann mit diesem Gesicht getan hatte, gefiel ihm, vieles mißfiel ihm, das meiste war ihm unverständlich. Welcher Josef ist der wahre: der tönerne oder der lebendige? Welcher Josef ist der wahre: der, der jene Taten getan hat, oder der, der hier sitzt? Was macht einen Menschen aus: was er jetzt ist, oder was er früher getan hat?
Er überlegte scharf. Kam zum Schluß. Der Mann Flavius Josephus, lebend in der Stadt Rom im Jahr 832 nach Gründung der Stadt, im Jahr 3839 nach Erschaffung der Welt, hat nichts gemein mit dem Manne Josef Ben Matthias, General seinerzeit in Galiläa. Der Schriftsteller Flavius Josephus sah mit rein literarischem, wissenschaftlichem Interesse auf das, was jener Doktor Josef Ben Matthias, Priester der Ersten Reihe, getan hat. Er zeichnete die Geschichte jenes Josef Ben Matthias mit der gleichen kalten Neugier auf wie die Geschichte des Königs Herodes, den wechselvollen Lebenslauf eines fremden, vergangenen Mannes. Und Flavius Josephus, als er zu diesem Schluß
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