Die Söhne.
für Ihr Sternbild?« fragte der Kaiser. »Ich wollte die Majestät um eine Benennung bitten«, erwiderte demütig der Gelehrte. »Nennen Sie das Sternbild ›Haar der Berenike‹«, ordnete lächelnd Titus an. »Die Prinzessin Berenike hat nämlich ihr Haar dem Himmel geopfert«, erklärte er. »Ich denke, der Himmel hat diese Gabe angenommen und wird sie bewahren.«
Ganz Rom drängte sich in der Bibliothek des Friedenstempels, als der Kaiser dort zum erstenmal einem Juden eine Ehrensäule errichten ließ. Josef hatte Schwierigkeiten, auch nur die zwanzig Einlaßmarken zu erhalten, die Dorion für ihre Freunde benötigte.
Schwer schleppten Leibeigene die Büste herein und stellten
sie auf den glatten Marmorsockel. Schweigend in weitem Halbkreis stand die große Versammlung. Hager, fremdartig schimmernd, augenlos und doch voll wissender Neugier, schaute hoch und hochfahrend, über die Schulter gedreht, der Kopf des Josef über die prunkvolle Menge.
Junius Marull, den man auf Josefs Wunsch zum Festredner bestimmt hatte, trat vor die Büste. Er sprach vom Schriftsteller, vom Geschichtsschreiber, er pries den Mann, der die Tat, das Vergehende, festhält. Der Staatenlenker vergeht, und sein Werk vergeht. Der Feldherr stirbt, und sein Sieg verflüchtigt sich. Sind sie denn wirklich, diese Taten? Ändern sie sich nicht, schon während sie geschehen? Vieldeutig sind sie, jedem, der daran teilnimmt, bedeuten sie anderes, jeder sieht sie anders. Da aber nimmt der Schriftsteller die Geschehnisse in die Hand und macht sie eindeutig, so daß sie ein für allemal dastehen, hell, klar. Mächtiger als der Tod ist der große Geschichtsschreiber. Er besitzt das Geheimnis, der Welle zu gebieten, daß sie nicht verrinnt, sondern feststeht für immer.
Die Juden haben das früh erkannt. Sie haben ihre Geschichte seit Urzeiten festgehalten in einer Tradition, die ihr Gott selber ihnen offenbart hat. Sie sind, wie die Übersetzung ihrer Kanons durch die Siebzig zeigt, große Geschichtsschreiber. Es scheint mir deshalb ein doppelter Triumph, daß Kaiser Titus die Juden nicht nur besiegt, sondern auch diesen ausgezeichneten Juden Flavius Josephus dazu vermocht hat, die Geschichte dieses Sieges zu schreiben. Wenn heute der sehr gute, sehr große Titus seinen Ge-schichtsschreiber als ersten Juden in die Reihe derjenigen aufnimmt, deren Werke hier im Saal der Unsterblichen aufbewahrt werden, dann ist das ein sehr hoher Dank, doch kein zu hoher; denn durch das Buch unseres Josephus erst leben die Taten der Römer in Judäa für die fernen Geschlechter. Drüben in seinem Schrank liegt es jetzt, das Buch unseres Freundes. Es ist nichts. Nichts als ein Buch: Pergament, Tusche, Tinte. Aber dieses höchst gebrechliche Material ist gleichzeitig der härteste Stoff der Welt, nicht minder dauerhaft als hier die korinthische Bronze, aus der die Büste geformt ist. Denn nichts Größeres gaben die Götter uns Menschen als das geschriebene Wort.
So sprach Junius Marull. Dann trat der Kaiser vor, bekränzte die Büste, umarmte Josef, küßte ihn. Die weite, ernste Halle aber war voll von brausenden Rufen und Applaus. »O unser Kaiser Titus, o du großer Schriftsteller Flavius Josephus«, schallte es von allen Seiten. Es riefen so die Senatoren, die dastanden in ihren purpurgestreiften Gewändern, auf ihren hochgesohlten, schwarzgeriemten, roten Schuhen, es riefen so, ein wenig säuerlich, die Kollegen des Josef, es riefen so, begeistert, die vielen Damen, es riefen so, stolz und gerührt, die wenigen Juden, die man eingeladen hatte, der Doktor Licin, Cajus Barzaarone.
»O unser Kaiser Titus, o du großer Schriftsteller Flavius Josephus«, glücklich inmitten der andern ruft es auch die Dame Dorion. Es gelingt ihr auf Augenblicke, vor dem alten Valer, vor Annius Bassus die ganze Feier zu bagatellisieren und die überlegen Ironische zu spielen, aber lange hält sie nicht durch. Die beiden können sich ja selber dem Eindruck der Zeremonie nicht entziehen. Stolz also steht die Dame Dorion da, den dünnen, reinen Kopf leicht überrötet, den großen Mund kindlich halboffen. Für alle, für Annius und Valer und Flavius Silva, wird Josef künftighin nicht mehr der verachtete Jude sein, sondern der große Schriftsteller, dessen Ehrenbild hier im Friedenstempel feierlich aufragt. Sie hat ihn verhöhnt, wenn er von sich selber sprach als von einem Manne, dessen Macht unbegrenzt sei und endgültig wie die der Totenrichter. Allein hat nicht
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