Die Söhne.
gekommen war, fühlte sich dem Josef von einst, jenem toten, abgelebten Manne, sehr überlegen.
Plötzlich aber, schreckhaft, überfiel ihn der Gedanke: was aber ist dieser Josef von heute, gemessen an dem Josef der Zukunft? Er wog, was er getan hatte und was zu tun noch vor ihm lag, und der Atem setzte ihm aus.
Er hat dieses Buch vom jüdischen Krieg geschrieben, den Römern gefällt es, die Römer feiern den Josef von heute und gießen sein Bild in das kostbarste Metall der Welt. Der eine Teil seiner Aufgabe liegt hinter ihm, der leichte, der lohnende. Vor ihm aber, berghoch, drohend, unbegonnen, steht die wahre Aufgabe, das Werk der Zukunft, die große Geschichte seines Volkes, die zu schreiben, die der westlichen Welt zu vermitteln er sich anheischig gemacht hat. Um dieses Werkes willen hat er soviel Sünden auf sich genommen, soviel Unheil angestiftet. Und gemacht hat er, der Josef von heute, den »Jüdischen Krieg«. Ist das ein Beginn? Ist das eine Abzahlung auf die ungeheure Schuld? Es ist nichts. Er wiegt, er wiegt, er zählt, und er verwirft. Betäubend überfällt ihn das Gefühl seiner Ohnmacht. Er war ein Lügner, als er vor zehn Jahren Vespasian als den Messias bezeichnete. Er war ein Lügner jetzt, da er sich für das Werk berufen glaubte und aus solcher Berufung heraus sich vermaß, Sünden auf sich zu nehmen, die einen erdrücken mußten. Eine klare, bittere Stimme wacht mit einemmal in ihm auf, er hat sie seit langem nicht mehr gehört. »Ihr Doktor Josef ist ein Lump«, sagt die Stimme, es ist die des Justus von Tiberias, des Freundfeindes. Sie ist nicht laut, aber sie übertönt das Geschwätz des Bildhauers, sie füllt das große Atelier ganz aus, sie macht das Tonmodell schwanken und verschwimmen, sie drückt ihm das Herz ab mit ihrer Verachtung, ihrer Resignation, ihrem unbeholfenen Aramäisch. Er muß an sich halten, um nicht hier, vor diesem Bildhauer Basil, an die Brust zu schlagen und zu bekennen: Eitelkeit. Alles, was ich getan habe, ist eitel. Ich genüge nicht dem Werk. Ich bin verworfen.
Seine Büste aber, die Ehrenbüste, gedieh. Bald schon stand sie da, vorerst probeweise in gemeiner Bronze gegossen, und ungelöst war nur noch das Problem der Augen. Doch schon für morgen hatte der Gehilfe Kritias auch für sein Teil versprochen, seine Arbeit zu liefern.
Als Josef am andern Tag in das Atelier kam, um sich das Werk in seiner endgültigen Form zeigen zu lassen, fand er dort die Prinzessin Lucia. Es war das drittemal, daß er sie bei Basil traf. Wie sie hörte, worum es ging, blieb sie.
Gespannt schaute Josef zu, wie Kritias dem Erzmodell zwei schillernde, eirunde Steine einpaßte. Erschreckend blickten die Steine aus der Bronze. Das waren nicht mehr irgendwelche Halbedelsteine in irgendwelcher Bronze, das waren wirklich seine Augen. Betroffen erkannte Josef, daß dieser unheimliche, vierschrötige Mensch Kritias ihn durchschaut hatte, seine versteckten Gedanken, seine Sünden, seine Lüste, seinen Stolz, seine Ohnmacht. Er haßte diesen Griechen Kritias, und er haßte den Griechen Basil, weil sie ihm die Nacktheit seiner Seele abgelauert hatten. Er konnte den Anblick der Büste nicht ertragen und wandte den Kopf zur Seite.
Da gewahrte er Lucia, wie sie aufmerksam, mit hohen Augenbrauen, die Büste beschaute. Schnell, um der Wirrnis seines Gefühls zu entkommen, klammerte er seine Gedanken an sie, an ihr kühnes, helles Gesicht. Diese Römer wissen nichts von Sünde, wahrscheinlich ist das ihre Stärke, die Ursache ihrer ungeheuren Erfolge. Ungestört von inneren Hemmungen haben sie ihr Reich aufgerichtet und unseren Staat zerschlagen. Haben wir nicht unsere erste große Schlacht verloren, weil wir uns nicht dazu verstehen konnten, am Sabbat zu fechten, und es vorzogen, uns wehrlos hinschlachten zu lassen? Ich bin klüger geworden mittlerweile. Ich habe einiges gelernt. Ich weiß um die Sünde, aber ich tu sie. Mir wächst Kraft aus meinen Sünden. »Du sollst Gott lieben auch mit deinem bösen Trieb.« Es ist leicht, stark zu sein, wenn kein Bewußtsein den Trieb hemmt. Sündig sein, bewußt, und sich nicht flüchten in Frommheit und Resignation, das ist der größte Triumph.
Und er wandte seine Blicke wieder der Büste zu. Beschaute sie, voll trotziger Selbstbejahung. Der ganze, bronzene Kopf jetzt, wie er, halb über die Schulter gewendet, auf den Beschauer und in die Welt sah, war gespannt von einer tiefen, wissenden, gefährlichen Neugier, und Josef
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